Reflecta

Christian Mappala über Diversity und Mittel, die eine inklusive Gesellschaft ermöglichen.

Es braucht Heterogenität in den Lebensläufen und eine offene Haltung in Organisationen und Unternehmen, um zukunftsfähig agieren zu können.

Christian Mappala ist Diversity-Experte, Organisationsentwickler, Trainer und Coach. Mit seiner Frau Lina hat er 2013 die diversitätsbewusste systemische Organisationsberatung „third culture“ gegründet. Um Unternehmen und Organisationen zukunftsfähig auszurichten, braucht es Heterogenität in den Lebensläufen der Teammitglieder – und eine offene Haltung. Was ist nötig, um inklusive Prozesse und Strukturen zu gestalten? Welche Fehlerkultur leben wir und mit welchen Mitteln schaffen wir eine widerstandsfähige und inklusive Gesellschaft?

Interview: Daniela Mahr, Juni 2019
Foto: Peter Wolf : Christian Mappala nach einem Podium im Gespräch mit Aeham Ahmed

Jedes Unterscheidungsmerkmal kann zu Diskriminierungen führen.

Wie erklärst Du jemandem, der sich noch nicht ausgiebig damit beschäftigt hat, den Diversity-Begriff?

Der Begriff beschreibt in unserem Fall die Vielfalt der Menschen mit all ihren unterschiedlichen Merkmalen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, soziale Herkunft und weitere Eigenschaften. Jedes Unterscheidungsmerkmal kann zu Diskriminierungen führen.

Wie kann man sich Deine Tätigkeit und Deinen Alltag vorstellen?

Ich bin als Berater und Coach für unsere beiden großen Kundengruppen, öffentliche Verwaltungen und private Unternehmen, tätig. Verwaltungen haben den gesetzlichen Auftrag, Teilhabe zu ermöglichen und Diskriminierung zu verhindern. Hier buchen uns zum Beispiel unterschiedliche Bundesländer. Wir arbeiten dann entweder in Form von Workshops, Seminaren, Beratungen oder coachen individuelle. Bei privaten Unternehmen geht es um Führungskräfteentwicklung, Diversity & Digitalisierung und Nachwuchsprogramme. Auch haben wir Fälle, bei denen das ganze Unternehmen resilient und robust gemacht werden soll. Wir helfen dann dabei, die Unternehmen auf komplexe Herausforderungen vorzubereiten. Weil Anti-Diskriminierung in einem unternehmerischen Kontext kein attraktiver Begriff ist, hat sich der schön klingende Begriff „Diversity-Management“ etabliert. Alle reden über Agilität und Innovation. Aber wenn Menschen strukturell ausgeschlossen werden oder sind, wird das Unternehmen weder agil noch innovativ sein können. Diese Exklusion kann bei einem international aufgestellten Unternehmen z.B. durch die Zugänglichkeit von Informationen über die Sprache im Intranet geschehen.

Alle reden über Agilität und Innovation. Aber wenn Menschen strukturell ausgeschlossen werden oder sind, wird das Unternehmen weder agil noch innovativ sein können.

Es geht also letztlich um die Ermöglichung von Teilhabe und darum, dass Unternehmen und Institutionen mit einer komplexen Welt umzugehen lernen.

Ja, genau. Oft wird von Integration gesprochen. Ich finde den Begriff Inklusion allerdings viel besser, weil er eben genau diese Möglichkeit der Teilhabe ausdrückt. In unserer Arbeit betrachten wir die relevanten Umwelten einer Organisation. Sehr schnell wird deutlich, dass es keine monokausalen Zusammenhänge gibt, sondern dass die Organisation Teil der sogenannten VUCA – Welt ist. Dies ist ein Akronym für die englischen Begriffe der Wörter Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Es ist genau dieses Bewusstsein, das wir mit Institutionen und Organisationen erarbeiten und darauf basierend Strategien entwickeln.

In unserer globalisierten Welt muss immer davon ausgegangen werden, dass jeder Zeit etwas Unerwartetes passieren kann. Ein aktuelles Beispiel ist der Brexit. Ganze Unternehmen ziehen aktuell aus Großbritannien auf den europäischen Kontinent. Niemand hat damit gerechnet, aber jetzt ist er da und es muss ein Umgang damit gefunden werden. Wir leben in einer komplexen Welt mit voneinander abhängigen Wirkzusammenhängen. Die Frage ist, wie man als Organisation darauf reagiert. Die ganz einfachen Lösungen sucht ein Herr Trump. Eine andere Möglichkeit ist es, organisatorisch auf die äußere Komplexität mit einer inneren Komplexität zu antworten.

Je diverser und komplexer wir aufgestellt sind, desto besser können wir also auf das Unerwartete reagieren…

Ja und nein. Es braucht unterschiedliche Perspektiven. Diversität an sich ist aber noch kein Wert. Wenn ein Unternehmen z.B. international agiert, dann reicht es nicht zu sagen „Wir haben 150 Nationalitäten in unserer Organisation.“ Wenn Diversität nicht an den Unternehmenszweck gekoppelt ist, wird das allein nicht viel nutzen. Wenn es aber Hand in Hand geht, dann ist das eine strategische Ausrichtung, die die Organisation robust und wertvoll macht.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor dabei ist, mit ‚Mehrdeutigkeit‘ umzugehen. Also nicht immer auf entweder oder, schwarz oder weiß zu bestehen, sondern ein sowohl als auch und ein Dazwischen auszuhalten. Das ist erlernbar. Das Unternehmen oder die Institution muss einen Rahmen schaffen, für eine Offenheit im Umgang mit Heterogenität und den je unterschiedlichen Bedürfnissen in der Belegschaft.

Was brachte Dich dazu, Dich hauptberuflich der Diversität zu widmen?

Das war eine lebenslange Entwicklung. Ich bin Arbeiterkind. Ich selbst habe zwar in Relation wenig Diskriminierung erfahren, dies aber bei meinen türkischen, griechischen und italienischen Freund*innen erlebt. Es kam der Tag, an dem ich in die Diskothek reinkam, meine Kumpels aber nicht. Ich hatte noch kein Vokabular dafür, empfand es aber einfach als ungerecht. Dieses Ungerechtigkeitsempfinden war der Startpunkt. Die berufliche Ausrichtung kam später.

Ich habe viele Jahre im Trainings- und Ausbildungsbereich der deutschen Lufthansa gearbeitet und war weltweit tätig. Die Tatsache, dass ich auf allen Kontinenten bis auf Australien Workshops gab, war ein wichtiger Baustein für meine Entwicklung. Anschließend machte ich eine Ausbildung zum systemischen Coach und habe dabei gelernt die Umwelten, die Einfluss auf Organisationen haben, systematisch in den Blick zu nehmen.

2013 habe ich das Angestelltenverhältnis bei Lufthansa gekündigt und wollte mich selbstständig machen. Im selben Jahr lernte ich Lina kennen, meine heutige Frau und Geschäftspartnerin. Wir sprachen darüber, dass wir etwas mit „third culture“ machen möchten. Vereinfacht gesagt bedeutet third culture, dass sich zwei Personen oder Gruppen begegnen und dies eine bleibende Veränderung bewirkt. Es entsteht etwas Drittes und Verbindendes. Diese Idee gefiel uns. Ich hatte schon meinen eigenen Businessplan und mein Konzept, aber dann habe ich alles über den Haufen geschmissen, wir haben uns zusammengetan und gemeinsam das Unternehmen third culture gegründet.

Es ist wichtig, dass wir uns Räume gestatten, umzulernen und umzudenken.

Wie siehst Du unsere gesellschaftliche Entwicklung? Was macht Dir Mut, was besorgt Dich?

Es gibt divergierende Tendenzen und unsere Welt scheint polarer zu werden. Mut macht mir, dass es vor allem in Städten eine neue Generation gibt, in der Heterogenität herrscht und Menschen mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen ganz selbstverständlich miteinander umgehen und ihre Unterschiede respektieren. Gleichzeitig gibt es aber Gruppen, die sichtbare und unsichtbare Merkmale mit Charaktereigenschaften verbinden und dies vor allem abwertend tun.

In Gesprächen bemühe ich mich immer um eine gendergerechte und anderweitig angemessene Sprache, muss aber zugeben, dass mir das nicht immer gelingt. Natürlich hat Political Correctness einen großen Wert, um auf Missstände hinzuweisen. Gleichzeitig haben wir aber Sprachgewohnheiten, die tief verankert sind. Ich habe als Kind die Sachen anders gelernt und muss einfach umlernen. Das sollten wir uns allen zugestehen.

Allgemein ist es wichtig, dass wir uns Räume gestatten, umzulernen und umzudenken. Auch das ist Teil von Diversity. Das betrifft jedes Thema, ob ethnische Herkunft, das Geschlechterthema oder das Alter. Auf dem Arbeitsmarkt bin ich 50+, Agilität sollte also gemäß dem Klischee nichts für mich sein. Auch hier müssen wir lernen, offener zu sein.

Mit Besorgnis betrachte ich, dass sich aktuell wieder faschistische Regionen in Deutschland, Europa und weltweit entwickeln. Gleichzeitig macht es mir aber Mut, dass sich so viele Menschen dagegen auflehnen. Künstlerischen Aktivismus wie den vom Zentrum für politische Schönheit finde ich hier besonders wichtig und nennenswert. Oder dass ganz Dortmund auf einmal mit Fußball-Plakaten voll hängt, auf denen steht: „Lieber Schalkesieg als Nazikiez!“
Auch das Sozialunternehmertum empfinde ich als eine großartige Hoffnung für die Zukunft.

Was rätst Du Menschen, die sich nicht sicher sind, ob und wie ihre Sprache oder ihr Verhalten diskriminierend wirkt?

Natürlich kann man unbewusst übergriffig sein. Wenn das bemerkt wird, sollte man sich entschuldigen und das Opfer der Diskriminierung nicht abwerten, sondern reflektieren und etwas dazulernen. Das kann ein sprachlicher Ausdruck oder eine Fragestellung sein. Wenn es mich zum Beispiel interessiert, wo jemand herkommt, kann das echtes Interesse sein. Doch die Person, die gefragt wird, hörte diese Frage vielleicht schon tausend Mal – wie Lina, meine Frau. Und die Antwort „Bad Schwalbach“ reicht vielen nicht aus, da implizit drin steckt: Du bist anders. Da kann man an einen Punkt kommen, an dem man nicht mehr darüber reden möchte. Meine Frau hatte dann mal den Fall, dass sie, um die Sache abzukürzen sagte, sie sei adoptiert. Sie hat dies gesagt, weil sie einfach keine Lust auf die Debatte hatte. Daraufhin war aber nicht Schluss, sondern der Fragensteller fragte ganz erschrocken „Was? Du kennst Deine Wurzeln nicht?“ Das ist einfach eine Übergriffigkeit. Ich wurde z. B. noch nie beim ersten Kennenlernen nach den Urgroßeltern und dem Stammbuch gefragt. Diese Verhältnismäßigkeit immer wieder einzuüben – das ist wichtig, in Bezug auf alle Persönlichkeitsmerkmale.

Es sind die Bilder aus den Köpfen der Menschen, die in die Algorithmen eingehen.

Diskriminierung zieht sich ja durch alle Bereiche. Auch den technologischen Bereich und die sozialen Netzwerke…

Ja, wir sind heute an einem Punkt, an dem Technologien wie Social Media die Menschheit auf einen Weg leiten, von dem wir noch nicht wissen, wohin dieser führen wird. Hier ist es wichtig, dass verschiedene Perspektiven zusammenkommen, um das Ganze besser zu verstehen. Denn man bringt natürlich in Algorithmen auch bias, also unbewusste Vorannahmen, mit ein. Natürlich kann ein Algorithmus diskriminieren. Das passiert ja schon. Man sieht das, wenn man Google Translator benutzt. Männliche Erzieher zum Beispiel existieren in vielen Sprachen nicht, weil es als Frauenberuf gesetzt ist. Es sind die Bilder aus den Köpfen der Menschen, die in die Algorithmen eingehen. Deshalb braucht es Multiperspektivität.

Wie siehst Du die Entwicklung speziell in Deiner Region?

Wiesbaden hat eine überschaubare Größe. Die meisten Local Player kennen sich und schaffen immer wieder situative Bündnispartnerschaften. Das gefällt mir hier sehr gut.

Das Rhein-Main-Gebiet hat für Start-Ups gerade im Bereich des Sozialunternehmertums einen guten Nährboden. Und auch in Wiesbaden gibt es ausgezeichnete Agenturen und Begegnungsstätten. Hier kommen unterschiedliche Gruppen zusammen und lassen Neues entstehen. Wiesbaden hat aber auch das alte und leidige Thema der nicht existenten Fahrradwege.

Hast Du einen Wunsch oder sogar Pläne für Wiesbaden?

Eine Sache, die ich mir für Wiesbaden und auch für jede andere Stadt wünsche, sind Verfassungstage. Wir hatten gerade 70 Jahre Grundgesetz. Zu den jeweiligen Persönlichkeitsmerkmalen, die diskriminierungsfähig sind, gibt es Organisationen, die sich damit beschäftigen. Die müsste man alle zusammenbringen. Die Stadt Frankfurt hat das vor zwei Jahren gemacht und es kamen z.B. muslimische Vereine mit Vertreter*innen für Transidentität und Intersexualität und viele andere zusammen, bei denen es ansonsten durchaus wechselseitige Vorbehalte gab. Damit setzt man einen klaren Kontrapunkt zu rechtsextremen Tendenzen. Diese Veranstaltung des offenen Austausches, bei dem wir uns einmal jährlich auf die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts besinnen, wünsche ich mir auch für Wiesbaden und würde das gerne umsetzen. Bei dem aktuellen Sozialdezernenten, den wir in Wiesbaden haben, kann ich mir das auch sehr gut vorstellen. Aber das braucht weitere Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, damit eine tragfähige Basis entsteht.

Für diejenigen, die weiter einsteigen wollen: Welche Initiativen oder Organisationen würdest Du zum Thema Diversity empfehlen?

Oh, es gibt eine Menge Initiativen und Organisationen, die sich aus unterschiedlichen Positionen dem Thema Diversity widmen. Bundesweit ist die 2006 gegründete Charta der Vielfalt eine sehr gute Adresse. Viele große Unternehmen und auch das Land Hessen sind Mitglied. 2006 ist auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten. Dann gibt es den Diversity-Tag, bei dem verschiedene Unternehmen und Organisationen Aktionen starten, um das Thema ins Bewusstsein zu rücken. Corporate Social Responsibility (CSR) gehört definitiv zum Thema Diversity. Dazu gibt es in Wiesbaden ‚Wiesbaden engagiert‘, die von der Fachstelle Unternehmenskooperation im Amt für soziale Arbeit koordiniert wird. Mittlerweile stehen Unternehmen, Vereine und Teile der Verwaltung Schlange, um bei den sozialen und ökologischen Projekten mitwirken zu können. CSR Regio.Net Wiesbaden war zuvor ein Bundesprogramm zu CSR. Seit 2015 wird es in Kooperation mit der Landeshauptstadt Wiesbaden fortgeführt sowie ausgeweitet.

Dann der Verband Binationaler Familien und Partnerschaften, der bundesweit sowohl juristisch als auch therapeutisch ein vielfältiges Spektrum an inklusiven Angeboten hat. Außerdem die Internationale Gesellschaft für Diversity Management, in der ich auch Mitglied bin und die Regionalgruppe RheinMain leite, die ein Netzwerk mit Mitgliedern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Verbänden und NGOs ist.

Um die notwendigen Bündnispartnerschaften zu schließen, müssen wir wissen, wer noch alles auf dem Feld aktiv ist.

Gibt es noch etwas, das Du uns mitgeben möchtest?

Du bist nicht allein auf die Welt gekommen und wir haben nur einen Planeten, auf dem wir gemeinsam leben. Das Thema Nachhaltigkeit ist sowohl für die Umwelt, als auch für das soziale Miteinander wichtig. Um die notwendigen Bündnispartnerschaften zu schließen, müssen wir wissen, wer noch alles auf dem Feld aktiv ist. Dafür braucht es Plattformen wie diese, über die wir uns alle finden und zusammenschließen können.

Christian Mappala auf reflecta.network

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