Reflecta

Christina Jäger über ihren Weg zum Social Business, Kreislaufwirtschaft und die Bekämpfung der Plastikflut

Ich liebe die Arbeit an Social Business-Themen, weil es kleine Hoffnungsträger und Lichtblicke sind.

Christina Jäger kam durch Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zum Thema Social Business. Mit ihm arbeitete sie in Bangladesch und lernte das Mikrokreditsystem der Grameen Bank kennen. Seit 2011 ist sie Referentin für Circular Economy und Projektleiterin beim Wiesbadener Grameen Creative Lab. Und seit kurzem nun auch selbst Gründerin von 3dbrix, das mit Hilfe von 3D-Technologie Bauelemente aus Plastikabfall herstellen soll.


Interview: Daniela Mahr, Dezember 2018
Foto: grameen creative lab


Social Business bedeutet, gesellschaftliche Herausforderungen unternehmerisch zu lösen.


Du bist im Bereich des Social Business sehr aktiv. Beschreibe das Konzept doch kurz für diejenigen, die noch nicht so im Thema sind.

Ich beschäftige mich seit langer Zeit mit dem Thema Social Business. Dabei geht es um die Frage, wie wir gesellschaftliche Herausforderungen unternehmerisch lösen können. Im Fokus steht dabei zuerst immer, ein Problem zu identifizieren und zu untersuchen, welche Menschen und gesellschaftlichen Bereiche davon betroffen sind. Das können soziale, ökologische oder allgemein gesamtgesellschaftliche Probleme sein.

In welchem beruflichen Rahmen setzt Du Deine Themen um?

Ich bin Referentin für Circular Economy beim Wiesbadener Grameen Creative Lab. Meine Aufgabe liegt darin, Social Business-Lösungen für Plastikvermeidung, Recycling und neue Geschäftsmodelle für eine zirkuläre Wirtschaft zu finden.

Unsere Fragen in der Vorgehensweise sind stets die folgenden: Welche Lösungsansätze gibt es bereits, was funktioniert schon gut, was noch nicht und warum? Warum bedarf es eines neuen Lösungsansatzes? Und zuletzt: Wie könnte diese Strategie dann aussehen?

Zielsetzung ist es, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Social Business Unternehmen sind, wie andere Unternehmen auch, darauf ausgerichtet, längerfristig existieren zu können und Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings mit dem Unterschied, dass der Gewinn reinvestiert wird. Da das Hauptziel darin liegt, ein soziales Problem zu lösen, muss das Geld immer wieder in dessen Lösung fließen.

Das übergeordnete Ziel meiner Arbeit ist es, eine zirkuläre Wirtschaft aufzubauen, in der kein oder sehr wenig Abfall anfällt.

Du hast bei deiner Arbeit auch einen persönlichen Schwerpunkt entwickelt.

Ja, aktuell suche ich nach Lösungen, wie wir die enorme Plastikflut, die wir auf dem Planeten vorfinden, eindämmen können.
Neben der Müllvermeidung widmen sich ein Teil der Lösungen der Müllentsorgung und dem Recycling. Viele Menschen bedenken nicht, dass 80 % des Plastikmülls in den Ozeanen vom Land über die Flüsse in die Meere getragen wird. Die Müllentsorgung an Land funktioniert also nicht. Oftmals wird der eingesammelte Müll, nachdem er auf der Deponie landet, nicht verarbeitet und landet wieder in der Natur. 30 % des Abfalls gelangt so in die Meere.

Wir versuchen, einen Weg zu finden, wie wir Social Business Unternehmen aufbauen können, die sich mit der Mülleinsammlung beschäftigen. Das ist vor allem in Südost-Asien und Afrika ein Thema. Hier arbeiten sehr viele sehr arme Menschen als Müllsammler. Wir versuchen diese dabei zu unterstützen ein besseres Einkommen und angemessene Arbeitskleidung zu erhalten. Wir alle kennen die Bilder von Kindern, die barfuß über Müllhalden laufen.

In Bezug auf Recycling ist unser Ansatz, dass wir nicht aus einer Plastikflasche eine neue Plastikflasche herstellen, weil diese eine sehr kurze Nutzungsdauer hat und direkt wieder zu Müll werden würde. Die Frage ist, wie wir den recycelten Kunststoff in langlebige Produkte verwandeln können. Dabei muss man auch beim Produktdesign ansetzen. Viele der verwendeten Verpackungen und Produkte sind ja gar nicht recyclingfähig.

Meine Aufgabe besteht darin, ein Netzwerk aufzubauen und zu schauen wie die jeweiligen Länder an das Problem herangehen und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es gibt. Letztlich geht es darum, voneinander zu lernen, um das Problem gemeinsam anzugehen.

Das übergeordnete Ziel ist es, eine zirkuläre Wirtschaft aufzubauen, in der kein oder sehr wenig Abfall anfällt. Wir bekamen zu der Zeit eine Anfrage vom WWF Deutschland, der gerne mit uns ein Social Business Projekt machen wollte. Zusammen mit Hans Reitz konnte ich so das Plastic Lab innerhalb des Grameen Creative Labs etablieren. Es ist langfristig aufgebaut und wird von Yunus in all seinen Reden erwähnt. Mit dem Plastic Lab wollen wir eine Plattform aufbauen über die auch große Unternehmen recycelte Kunststoffe beziehen können und so einer zirkulären Wirtschaft näher kommen.


Wie ist deine persönliche Geschichte dahinter? Wie kam es dazu, dass du dich mit Social Business beschäftigst und jetzt in Wiesbaden damit arbeitest?

Ich komme ursprünglich aus Bayreuth. Studiert habe ich Politikwissenschaft, VWL und Jura. Mein Weg brachte mich unter anderem nach Buenos Aires und bereits während des Studiums habe ich in Indien in Projekten mitgewirkt. Danach habe ich in Berlin gearbeitet und traf dort zum ersten Mal Professor Yunus. Daraufhin beschloss ich, mir die Sache vor Ort genauer anzuschauen.


Was waren die Schritte nach deinem Entschluss nach Bangladesch zu Professor Yunus zu reisen?

Ich habe an einem Studienprogramm der Grameen Bank teilgenommen und in einem sehr ländlichen Dorf bei einem Manager der Bank gelebt. Dabei habe ich ihn bei seiner tagtäglichen Arbeit begleitet und so das Mikrokreditsystem der Grameen Bank kennengelernt. Ich habe dabei erfahren, wie die Ein- und Auszahlung und die Vergabe der Kredite funktioniert und welche Geschäftsmodelle entwickelt werden. Das war eine sehr spannende und gute Erfahrung. Auch die Tatsache, einmal ganz einfach zu leben. Es gibt dort keinen Strom, kein fließendes warmes Wasser etc. Danach habe ich in der Hauptstadt Dhaka im Yunus Centre, dem Sekretariat von Professor Yunus, wo alle globalen Prozesse zusammenlaufen, gearbeitet und der Geschäftsführung assistiert.

Wie kamst du zu dem Studienprogramm?

Dazu habe ich mich einfach dort vorgestellt. Ich wollte mehr über das Thema Social Business erfahren und sehr gerne dort arbeiten. Es gibt insgesamt in Bangladesch über 50 Grameen Social Businesses. Ich habe mir alle Strukturen angeschaut und dabei gesehen, dass viele Leute aus aller Welt vor Ort waren, die dort ein Praktikum absolvierten. So kam mir die Idee, mich einfach auch zu bewerben.

Dhaka-Wiesbaden war am Anfang durchaus eine Umstellung.

Dein Weg ging dann von Bangladesch zum Grameen Creative Lab nach Wiesbaden.

Ja, während meiner Zeit in Bangladesch war Hans Reitz, der das Grameen Creative Lab in Wiesbaden zusammen mit Yunus gründete und es leitet, öfter vor Ort. So haben wir uns kennengelernt. Als ich nach Wiesbaden eingeladen wurde, musste ich über die Stadt erstmal bei Wikipedia lesen (lacht). Mittlerweile arbeite ich seit fast acht Jahren im Grameen Creative Lab Wiesbaden. Dhaka-Wiesbaden war am Anfang durchaus eine Umstellung.

Du hast vor einer Weile auch ein eigenes Social Business gegründet. Wann hast Du diesen Entschluss gefasst?

Wenn Du im Grameen Creative Lab mit Yunus und Hans zusammenarbeitest, wirst Du über kurz oder lang selbst zur Unternehmerin. Ich hatte über so viele Jahre schon so viele Social Businesses mit aufgebaut, unterstützt und so viele Probleme weltweit gesehen – aber auch die verschiedenen Lösungsansätze dazu. Das hat einfach große Lust auf Gründen und „selbst anpacken“ gemacht. Die Entscheidung fiel relativ früh. Ich wusste zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht sicher, wo genau ich bei all den spannenden Punkten ansetzen wollte.

Wie hat sich Dein eigenes „Starten“ gestaltet?

Ich dachte mir, ich muss jetzt einfach anfangen. Meine Ausrichtung in Richtung Plastikvermeidung war schnell klar, weil mich das Müllproblem schon sehr lange beschäftigt und stört. Zu der Zeit haben wir uns mit dem Lab ein 3D-Projekt angeschaut und überlegt, wie man 3D-Druck im Social Business Bereich anwenden kann. Dabei ist mir aufgefallen, dass das eine Branche ist, die sehr schnell wachsen wird und zu 90 % auf neuem Kunststoff basiert. Warum also nicht recyceln und warum nicht mit Plastikmüll arbeiten? So fing ich an, die Idee zu entwickeln. Im nächsten Schritt habe ich Hans Reitz und Professor Yunus davon erzählt. Sie fanden die Idee gut und sagten, dass sie mich unterstützen wollen.

Was die Finanzierung betrifft, muss man sich erstmal durch eine Wildnis kämpfen und schauen, was oder wen es gibt.

Erzähl‘ uns doch etwas genauer, wie dein Projekt 3dbrix funktioniert.

Es geht darum, aus Plastikabfall mithilfe von 3D-Technologie neue Dinge herzustellen. Wir haben uns auf Bauelemente fokussiert, mit denen man Häuser, Bauten, Installationen und kleinere Objekte wie zum Beispiel Stufen oder Sitzgelegenheiten herstellen kann. Das machen wir in Kooperation mit dem Institut für Designforschung und Kunststofftechnik an der Hochschule Darmstadt. Dort entwickeln und erproben wir zurzeit die ersten Pilotprojekte.

Wie hast du deinen Weg zu 3dbrix geplant?

Ich habe mir viel in dem Bereich angesehen und mich mit Experten beraten. So erfuhr ich, dass es ein schwieriger Prozess ist, das 3D-Druck Filament aus recyceltem Kunststoff herzustellen. Die Anbieter von vorhandenem Filament waren recht teuer. Daraufhin habe ich den Markt eher kritisch betrachtet und entschieden, mich nicht nur auf die reine Herstellung des Materials, sondern vor allem auf die Produkte, die daraus entstehen können, zu konzentrieren. Mir wurde dann sehr schnell klar, dass ich einen Produktdesigner brauche. Nach kurzer Suche fand ich Matthias Klas. Er ist Absolvent in Darmstadt und hat den Wunsch, als Designer einen gesellschaftlichen Beitrag leisten zu können, statt einfach den x-ten Stuhl herzustellen. Aus der Gruppe der Hochschule Darmstadt ist auch Max Stein im Team, mit dem wir die Prototypen entwickeln.

Wie finanziert ihr euch bislang?

Es sind zum einen Forschungs- und Entwicklungsgelder, auf die wir uns bewerben. Zum anderen suchen wir Unterstützung von Stiftungen, Unternehmen oder Privatpersonen, die sich engagieren möchten.

Ich beobachte immer wieder, dass die Menschen viel zu lange warten und an der Idee oder dem Zeitpunkt zweifeln.

Finanzierung ist ja allgemein ein wichtiges Thema in dem Bereich des Sozialunternehmertums. Wie sind hier deine Erfahrungen?

Beim Grameen Creative Lab haben wir oft das Problem, dass wenig oder kein Geld vorhanden ist. Es wird oft davon ausgegangen, dass wenn man etwas für die Gemeinschaft macht, es ohne Gegenleistung geschehen sollte. Wir haben oft die Situation, dass uns ein Unternehmen gerne für einen Social Business-Workshop einladen möchte, damit man den Mitarbeitern das Konzept näherbringt. Wenn wir dann den Preis für den Workshop nennen, ist man überrascht. Daraufhin stehen wir vor der Frage, ob wir unsere Leistungen günstiger oder gar kostenlos anbieten sollen, weil wir ein Interesse daran haben, dass sich Social Business verbreitet. Gleichzeitig müssen wir aber auch unsere Kosten decken. Manchmal entscheiden wir uns aus strategischen Gründen für den günstigeren Preis. Der Zwiespalt bleibt aber bestehen.

Zum anderen erlebe ich als Social Business Gründerin viel positives Feedback. Die Menschen sind eher bereit mit einem zu sprechen und zu helfen. Was die Finanzierung betrifft, muss man sich erstmal durch eine Wildnis kämpfen und schauen, was oder wen es gibt.

Was war bislang dein größter Lerneffekt? Oder auch: Was würdest Du Menschen raten, die selbst mit etwas beginnen möchten?

Der erste Schritt ist der wichtigste: Einfach starten und machen. Ich beobachte immer wieder, dass die Menschen viel zu lange warten und an der Idee oder dem Zeitpunkt zweifeln. Dann helfen eine gute Recherche und der Aufbau eines Netzwerks. Der Austausch mit Menschen, die an ähnlichen Problemlösungen arbeiten, ist ebenso sehr hilfreich. Man sollte zu Veranstaltungen gehen, die sich mit der Thematik befassen und mit Fachleuten sprechen.

Vor allem ist es jedoch wichtig, sich ein Thema zu suchen, für das man wirklich brennt und eine Leidenschaft entwickelt. Das hilft dabei weiterzumachen, wenn man zwischendurch in eine Sackgasse gerät. Für mich persönlich ist es auch wichtig, ein kleines und gutes Team zu haben, damit ich mich austauschen kann. Das motiviert sehr.

Wenn ich die positiven Veränderung im Leben der Menschen sehe, weiß ich, wofür ich arbeite.

Welche Projekte, Unternehmen und Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet sollte man deiner Meinung nach nicht übersehen?

Von den etablierten Unternehmen finde ich Werner und Merz aus Mainz richtig gut. Sie stellen ja verschiedene Reinigungsmittel her und sind Cradle to Cradle zertifiziert. Die Energie wird aus erneuerbaren Energien bezogen, die Plastikverpackungen werden zu 80 % aus Recyclingmaterial hergestellt und die Produkte sind bio-zertifiziert. Die Produkte sind auch nicht teurer, sondern sogar günstiger als andere Markenreinigungsmittel. Produziert wird in Mainz, die Transportwege sind also sehr kurz, wenn ich die Produkte in Wiesbaden einkaufe. Das ist für mich ein Vorzeigebeispiel, wie es aus Unternehmersicht funktionieren kann.

Mit Svenja Bickert-Appleby habe ich Circular-Economy-Rhein-Main gegründet. Hier organisieren wir verschiedene Meet-Ups, Workshops oder Vorträge. Es sind alle willkommen, die sich für die Thematik interessieren oder vielleicht selbst schon darin aktiv sind.

Der Heimathafen Wiesbaden ist ein guter Anlaufpunkt, weil dort auch spannende Events stattfinden, aber so ein wirklicher Ort für Innovationen fehlt leider in Wiesbaden.

Im kulturellen Bereich sollte man die Wiesbaden Biennale nicht verpassen. Der Gesellschaftsbezug der Performances ist toll und transformierend. In Frankfurt fällt mir als Erstes das von Anna Meister gegründete Unternehmen ZuBaKa (Zukunftsbaukasten) ein. Das ist ein Programm für neuankommende Schüler und Schülerinnen in Deutschland, das sie in den verschiedenen Bereichen begleitet. Anna Meister stellt hier großartiges auf die Beine.

Wenn du die Zukunft in Wiesbaden bestimmen könntest, was würdest du als Erstes angehen?

Spontan fallen mir Radwege ein. Ich würde versuchen, die Autos aus der Stadt zu bekommen. Ich fahre selbst immer Fahrrad und man lebt in Wiesbaden wirklich sehr gefährlich, wenn man Rad fährt. In Berlin habe ich gerade gesehen, wie sie aus Einbuchtungen und Parkplätzen Sitzgelegenheiten für Passanten gemacht haben, was sehr gut funktioniert.

Wie siehst du die allgemeine gesellschaftliche Situation? Wo bewegen wir uns hin, wenn wir alles so lassen, wie es ist und was gibt dir Hoffnung?

Große Frage … . In den Medien sieht man erstmal diesen riesen großen Haufen an Problemen, die wir auf den unterschiedlichsten Ebenen in jedem Land der Welt vorfinden. Da kann schon mal ein Gefühl der Machtlosigkeit aufkommen. Generell beobachte ich mit Sorge, dass viele Menschen den Bezug zu unserer Erde verloren haben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich viel zu wenige Menschen darüber Gedanken machen, wie ihr Essen hergestellt wird und was mit dem Abfall passiert den sie in den Mülleimer werfen. Damit geht ganz stark einher, in welcher Gesellschaft wir heute leben.

Aber genau deswegen arbeite ich so gerne an den Social Business-Themen, weil es kleine Hoffnungsträger und Lichtblicke sind. Ich war gerade einen Monat in Kolumbien wo wir ein neues Social Business Inkubationsprogramm gestartet haben, dessen Fokus auf dem dortigen Friedensprozess liegt. Eine Unternehmerin, mit der wir vor acht Jahren in einem Workshop eine Idee entwickelt haben, hat im Gesundheitsbereich ein Social Business aufgebaut. Heute werden dadurch mehr als 20.000 Kaffeebauern in Kolumbien mit einer Krankenversicherung versorgt. Wir haben dort einige der Betroffenen kennengelernt. Das war unglaublich bewegend. So etwas gibt große Hoffnung. Dann weiß ich wieder, wofür ich arbeite. Das Argument, man könne mit kleinen Dingen nicht das große Ganze verändern, lasse ich nicht gelten. Wenn viele Menschen, viele kleine Dinge bewegen, dann passiert etwas Großes.

Christina Jäger auf reflecta.network

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