01/11/20 · Interviews
Judith Drewke über ihre Gründungserfahrung mit Jas Slow Fashion die Stärkung des lokalen Einzelhandels
Ich möchte dabei helfen, dass Einzelhandel und Gastronomie gemeinsam eine lautere Stimme haben.
Judith Drewke, studierte Expertin in Sachen Corporate Communication, ist seit 2014 als eco-faire Entrepreneurin im Rhein-Main-Gebiet unterwegs. Begonnen hat sie ihre Selbstständigkeit mit der Co-Gründung des Labels jas. slow fashion. Ihr Ziel war es damals, minimalistische und individuelle slow fashion in Deutschland herzustellen. Der Fokus der Wahlmainzerin liegt heute auf der Guidance von Unternehmen, Einzelhändlern und Gastronomen. Mit ihrem Beratungsunternehmen FRAIGAIST entwickelt sie nachhaltige Kommunikationskonzepte und bildet strategische Communication-Networks.
Interview: Daniela Mahr, Januar 2019
Foto: Judith Drewke
Es war von Anfang an mehr als Mode.
Was brachte dich dazu, ein faires Fashionlabel in Mainz zu eröffnen? Wie ist die Geschichte dahinter?
Ich komme eigentlich aus dem Marketing und BWL-Bereich, in dem ich
drei Jahre gearbeitet habe. Die Idee, etwas im Kleidungssegment zu
gründen, war sehr früh da. Am Anfang hatte das gar nicht viel mit
Nachhaltigkeit zu tun. Die Grundidee war, individuelle Mode abseits vom
Mainstream zu machen. Ich habe mich damals zwar durchaus für einen
nachhaltigen Lebensstil interessiert, dieser stand aber nie im
Vordergrund.
Als ich dann jemanden suchte, der meine Ideen grafisch
umsetzen konnte, lernte ich 2014 meine Co-Gründerin kennen. Diese
brachte dann verstärkter den Fokus einer eco-fairen Produktion mit ein.
2015 haben wir uns zusammengetan und das Fashionlabel jas. slow fashion
gegründet. Wir konzentrierten uns auf Kleinserien und Unikate aus
Bio-Baumwolle und Upcycling-Elementen.
Während der Gründung bin
ich Mutter geworden und hatte noch einen Halbtagsjob. In der Altstadt
entdeckte ich unser erstes Ladenlokal, das wir dann ein Jahr nutzen
sollten. Ich fasste den Mut und beschloss, ins kalte Wasser zu springen
und mich nach meiner Elternzeit komplett der neuen Selbstständigkeit zu
widmen.
Wir haben die Ideen für die Kleidung entwickelt und hatten eine
Modedesignerin beschäftigt, die sie umsetzte. Später wurde unsere
Kleidung in Sachsen produziert. Nach einem Jahr zogen wir mit dem Laden
in die Neustadt und gründeten mit Klotz&Quer und JECKYBENG eine
Laden-WG. Heute mache ich jas. mehr oder weniger allein – konzentriere
mich allerdings mehr auf meine Beratungstätigkeiten.
Ich möchte dabei helfen, dass Einzelhandel und Gastronomie gemeinsam eine lautere Stimme haben.
Du sagst, es war von Anfang an mehr als „nur“ Mode…
Ja, wir hatten seit Anbeginn ein Konzept und ein Rahmenprogramm. Wir
haben Verkaufspartys, ähnlich wie die Tupperware-Partys mit Modenschauen
veranstaltet. Tatsächlich hätten wir bereits viel früher eine
„Laden-WG“ eröffnen können, wenn wir die Idee eher besprochen hätten.
Ich wollte, wie vermutlich die meisten Gründer in Mainz, schon immer in
die Neustadt. Die Idee, unsere Produkte gemeinsam auszustellen, lag sehr
nahe. Von der Persönlichkeit passen wir auch wirklich gut zusammen.
Außer deinem Label passiert auch viel Weiteres bei dir, richtig?
Ja, wie oben schon angeklungen, bin ich wieder in einer Veränderungsphase. Das Konzept des Labels wird stark überarbeitet. Es soll künftig als Referenz dienen und ich werde mich wieder mehr dem Marketing mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit widmen. Zurzeit berate ich eine Filmfirma, die sich nachhaltig ausrichten möchte.
Für
Einzelhändler*innen und Gastronom*innen habe ich vor einer Weile ein
Netzwerk gegründet. Hier arbeite ich gerade das Konzept weiter aus, weil
ich dabei helfen möchte, dass wir gemeinsam eine lautere Stimme haben.
Vor allem gegenüber den großen Playern. Wir alle wissen, dass die
meisten kleinen Einzelhändler und Gastronomen wenig Geld für Marketing
haben. Ein Zusammenschluss kann da helfen. Die Idee ist:
Marketingleistung als Community. Die Gruppe kann mich gemeinsam buchen.
Wo bietest du das Community-Marketing überall an?
Das biete ich natürlich nicht nur in Mainz an. Mainz dient aber als
Referenz. Konzentrieren werde ich mich auf mitteldeutsche Städte. Bei
meinen Reisen habe ich gemerkt, dass man in anderen Städten genau die
gleichen Probleme hat. Da bieten sich Zusammenschlüsse an.
Was waren die Herausforderungen, die sich in allen Städten wiederholten?
Vor allem die mangelnde Sichtbarkeit. Daneben das Preisgefüge, das
viele Menschen noch nicht verstehen und das ihnen nähergebracht werden
muss. Ebenfalls zu beobachten ist das Konkurrenzdenken, mit dem sich die
Unternehmen selbst im Weg stehen. Das habe ich vor allem bei älteren
Ladeninhabern feststellen können. Die Jungen sind da eindeutig
aufgeschlossener. Ansonsten ist allen gemeinsam, dass ihnen Zeit und
Geld für Marketing fehlen, obwohl es wirklich wichtig wäre. Viele
jüngere Ladenbesitzer nutzen Instagram. Ein Netzwerk aufzubauen ist da
schon schwieriger und die Pressearbeit, die mindestens genauso wichtig
ist, gerät leider auch immer mehr in den Hintergrund. All das und mehr
würde ich den Menschen gerne wieder näherbringen. Dafür habe ich
FRAIGAIST gegründet.
Was war für dich bislang der größte Lerneffekt?
Dass man immer in Bewegung bleiben muss. Man sollte zwar fokussiert sein auf das was man machen möchte, aber gleichzeitig muss man auch offen bleiben. Nur weil eine Entscheidung getroffen wurde, ist sie nicht in Stein gemeißelt. Man sollte immer wieder nachprüfen, ob alles so passt, wie es gerade ist. Wenn man selbständig sein möchte, dann muss man in Bewegung bleiben. Ein weiterer Lerneffekt ist, dass man miteinander reden muss. Alleine schafft man es nicht.
Nachhaltigkeit muss sexy sein!
Was hat dir persönlich bei schwierigen Zeiten geholfen?
Am meisten über schwierige Zeiten hinweggeholfen hat mir die Tatsache, dass ich immer noch an mich glaube. Ich glaube, trotz aller Änderungen, an die Idee und denke, dass ich auf einem guten Weg bin. Und nicht zuletzt sind es mein Mann und mein Kind, die mich jeden Abend wieder erden, egal was am Tag passiert ist.
Du sagst, du baust ein Netzwerk innerhalb des Einzelhandels auf. Wie kann man sich das vorstellen?
Kurz nachdem ich in meinen Laden in der Altstadt gezogen bin, lernte
ich Stefanie Jung von „best of Mainz“ kennen. Ich hatte sie
angeschrieben und gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, eine
nachhaltige Stadtführung mit mir zu machen. Ich hatte Lust, es
auszuprobieren und sie war offen und hat sehr schnell zugesagt. Dann
kamen wir beide auf Tatiana Herda Muñoz, die wir beide kannten und uns
war klar, dass sie für die Nachhaltigkeitsthemen die Richtige ist.
Zu
dritt haben wir dann die „Nachhaltigkeitstour“ gestartet. Die Tour wuchs
allerdings nie über 15 Personen. Ab dem Moment, als wir es in „Urban
Mainz“ umbenannt haben, war die Hütte voll. Das war übrigens auch ein
guter Lerneffekt: Nachhaltigkeit muss sexy sein! Insgesamt haben wir
vier Touren zusammen organisiert. Mittlerweile sind sie alle sehr
schnell ausgebucht.
Das hat mir auf Dauer aber nicht gereicht und
ich begann, mich umzusehen. In der Altstadt bin ich dann auf drei bis
vier alteingesessene Vereine gestoßen, die sich um gemeinsame Werbung
kümmern. Die Strukturen haben auf mich jedoch nicht sehr einladend und
eher unmodern gewirkt.
Deshalb war mein Ziel, etwas Junges und Frisches
zu schaffen – und dabei niemanden auszuschließen. Ich habe dann einfach
alle Ladenbetreiber und Gastronomen, die mir über den Weg liefen
eingeladen. Auch weil ich es selbst total spannend fand, die Menschen
und Geschichten kennenzulernen.
Wir sind eine Kerngruppe von knapp 15
Personen aus Einzelhandel und Gastronomie. Mit der Gruppe kann man
schöne Aktionen planen: Feste, ein gemeinsames Branding, einen Blog mit
den aktuellen Neuigkeiten und vieles mehr. Die Gruppe kann sich die
Kosten teilen und jemanden gemeinsam z. B. für einen Vortrag oder
Workshop buchen. Oder es entstehen andere Kooperationen untereinander.
Zukünftig möchte ich mit FRAIGAIST
diese Gruppe ‚leiten‘ und die Administration übernehmen. Die Mitglieder
zahlen eine monatliche Gebühr und erhalten Vergünstigungen auf
Workshops und Veranstaltungen – und natürlich eine enorme Zeit- und
Kostenersparnis. Später wird das Konzept auch in anderen Städten
ausgerollt.
Mit dem Label kann ich testen, welche Kommunikationsstrategien funktionieren können.
Wie ist deine Erfahrung in Bezug auf die finanziellen Möglichkeiten und Vorstellungen, wenn es um nachhaltige Mode geht?
Zu Beginn hatten wir eine Designerin im Laden, die Einzelstücke auf
Manufakturebene angefertigt hat. Da diese Art von Produktion fast
unbezahlbar ist, haben wir die Produktion nach Sachsen ausgelagert. Uns
ist es sehr wichtig, dass Händler fair bezahlt werden. Das wiederum hat
sich nicht mit den Margen vereinbaren lassen, die wir in anderen
Geschäften hätten nehmen müssen.
Deshalb haben wir entschieden, die
Kleidung nur online und im Laden in Mainz zu verkaufen. Zudem
experimentiere ich mit Preismodellen: Ich nenne den Einkaufspreis und
die Menschen können zusätzlich zum Einkaufspreis zahlen, was es ihnen
Wert ist. Man kommt dadurch mit den Kunden sehr gut ins Gespräch.
Du sagst, dass du das Label in Zukunft noch mehr als „Versuchskaninchen“ führen willst. Was meinst du damit?
Mit dem Label kann ich testen, welche Kommunikationsstrategien
funktionieren können. Wie sehr muss sich Mode gängigen Trends ergeben?
Wie kann man als kleiner Laden z. B. gegen die großen Rabatte der
Konzerne ankommen?
Was ist für dich der Hebel, der
bei uns Menschen umgelegt werden muss, damit wir uns über die größeren
Zusammenhänge bewusst werden?
Ich glaube, man muss Menschen zeigen, dass Nachhaltigkeit, ökologisches und soziales Handeln nichts Schlimmes ist (lacht). Es macht doch viel mehr Spaß, bewusst einzukaufen. Sich über diese Dinge bewusst zu werden, dauert aber eine Weile. Als ich damals mein erstes richtiges Geld verdient habe, wurde das Shoppen damit zelebriert. Wir haben uns einen ausgiebigen Shopping-Tag mit Frühstück gegönnt. Heute machen wir dafür andere Sachen, die viel mehr Spaß machen. Damals war Shoppen Befriedigung, heute brauche ich das nicht mehr. Durch Jana Blume zum Beispiel kam ich zu Vintage. Sie erzählt die Geschichte ihrer Kleidungsstücke und das macht viel mehr Spaß.
Neben dem Weltverbessern darf das Wohlbefinden und der Genuss nicht vergessen werden.
Welche Menschen, Unternehmen und Projekte sorgen in Mainz für mehr Lebensqualität und sollten nicht übersehen werden?
Die eben genannte Jana Blume, dann auf jeden Fall Tatiana Herda Muñoz
mit ihren Ideen und ihrer Weitsicht zu Entwicklungen in Mainz und der
Tatsache, dass sie die Politik dabei mitnimmt. Ansonsten ist es
tatsächlich schwierig einzelne zu nennen, weil mich die komplette Szene
der jungen Unternehmer_innen inspiriert.
Die Bar jeder Sicht ist zum
Beispiel wirklich besonders und toll, auch für Heteros. Paul von der
Kaffeekommune ist als Mensch auch wahnsinnig inspirierend, Felix von
Peacefood habe ich vor kurzem kennengelernt und finde ihn auch sehr
spannend. Die Szene um das M1
ist interessant, aber das muss ich mir noch eine Weile ansehen, um mehr
dazu sagen zu können. Ansonsten Norma von Salute, das Möhrenmilleu. Bei
Jan von Gasthaus Willems finde ich es toll, wie er als sehr junger
Mensch ein so gehobenes Lokal führt. Aber auch zum Beispiel die
Weinraumwohnung oder das Eulchenbier.
Es gibt viele Projekte die, obwohl
sie schon gewachsen sind, immer noch ein Interesse daran haben, ihre
Stadt weiterzuentwickeln. Das freut mich zu sehen.
Wenn Du die Zukunft von Mainz bestimmen könntest, was würdest Du direkt anpacken?
Ich wohne seit 2011 in Mainz und habe mich direkt in die Stadt
verliebt. Es passiert hier sehr viel. Sowohl positive als auch negative
Dinge. Negativ ist, dass es einen Ort wie die Planke Nord nicht mehr
gibt und junge/alternative Kultur im Allgemeinen zu wenig Beachtung
findet. Ich würde als Erstes den Ausbau von Fahrradwegen vorantreiben
und das Karstadtgebäude abreißen und dort einen Citypark mit vielen
kulturellen Angeboten aufbauen.
Außerdem sollte es viele kleine freie
Kulturorte in der Stadt geben, mit guter Musik oder Poetryslam. Denn
neben dem Weltverbessern darf das Wohlbefinden und der Genuss nicht
vergessen werden. Wenn man diese Balance schafft, hat man auch als Stadt
gezeigt, dass Nachhaltigkeit schön sein kann.