Majid Hamdaoui über seinen Unverpackt Laden und das bewusste Leben
Bei Unverpackt geht es nicht nur um Plastikvermeidung, es geht um eine Entdeckungsreise und ein anderes Bewusstsein.
Ein Leben ohne Plastik können sich viele von uns heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Auf Verpackungsmüll beim alltäglichen Einkauf zu verzichten ist jedoch gar nicht so schwer wie es klingt. Seit einigen Jahren nimmt die Anzahl an Geschäften, die unverpackte Ware anbieten, rasant zu. Dazu zählt auch der 2015 von Majid Hamdaoui gegründete „Unverpackt“-Laden in Mainz. In dem gemütlichen Geschäft in der Heidelbergerfaßgasse können Bioprodukte in beliebiger Menge eingekauft und nach Bedarf in eigene Behälter abgefüllt werden. Das Ziel ist es, Müll zu vermeiden und gleichzeitig ein Zeichen gegen die unkontrollierte Wegwerfkultur zu setzen. Unter dem Motto „Plastik adé“ sollen Impulskäufe verringert und der bewusste Genuss wiederbelebt werden. Dass man der Welt zusätzlich noch etwas Gutes tut, ist ein charmanter Nebeneffekt.
Interview: Anais Quiroga, Juni 2019
Foto: Unverpackt Mainz
Majid, wie würdest Du das Konzept hinter „Unverpackt“ beschreiben?
„Unverpackt“
ist ein Bio-Laden der komplett auf Verpackungen verzichtet. Bei uns
können Besucher*innen problemlos ihre Behälter von zu Hause mitbringen
und mit der gewünschten Ware auffüllen. So bleibt unnötiger Müll erspart
und landet nicht in unserer Umwelt. Gleichzeitig helfen wir unseren
Kund*innen auch dabei, ihren Plastikkonsum im Alltag deutlich zu
reduzieren und ihren Einkauf bewusster zu gestalten.
Ihr sprecht in diesem Zusammenhang von „Bulk-Shopping“. Was genau lässt sich darunter verstehen?
„Bulk-Shopping“ beschreibt den Prozess, einen Inhalt aus einem Gefäß in ein anderes Gefäß umzufüllen. Bulks sind bei uns die großen Behälter im Laden aus denen die Kund*innen sich die Produkte schöpfen, die sie benötigen. Normalerweise bringen alle ihre eigenen Behälter selbst mit. Wir stellen aber auch Gläser und kompostierbare Papiertüten zur Verfügung. Das ist aber auch gleichzeitig die Schwierigkeit, die mit dem Einkauf bei uns einhergeht. Man muss auf jeden Fall Zeit mitbringen, da der Einkauf alles andere als spontan ist.
Wie viele dieser Läden gibt es bundesweit?
In Deutschland existieren mittlerweile 70 solcher Läden. Die Idee dahinter ist immer die gleiche, die Konzepte der Läden unterscheiden sich aber von Ort zu Ort. Einige bieten beispielsweise unter der Woche einen Mittagstisch an, bei dem Reste wiederverwertet werden. Wir „Unverpackt“-Läden tauschen uns regelmäßig untereinander aus und schlagen neue Produktanbieter vor. Zusätzlich haben wir einen Verband gegründet, mit dem wir versuchen wollen, mehr Einfluss in politische Entscheidungsprozesse zu erlangen, denn leider ist der Plastikwahn immer noch ein viel zu wenig diskutiertes Thema.
Der Einkauf geschieht bei uns nicht aus reinem Impuls, sondern erfordert eine gewisse Auseinandersetzung mit dem Konzept.
Was würdest Du sagen ist Euer Erfolgsfaktor?
„Unverpackt“
ist kein Laden der modernen Zeit. Er ist nicht mit einem Discounter zu
vergleichen, da der persönliche Bezug bei uns eine sehr wichtige Rolle
spielt. Die meisten Menschen kommen aus Neugier zu uns, haben
verschiedene Fragen zu den Produkten oder wollen beraten werden. Der
Einkauf geschieht bei uns nicht aus reinem Impuls, sondern erfordert
eine gewisse Auseinandersetzung mit dem Konzept. Das Erlebnis bei uns
ist wie eine kleine Entdeckungsreise, für die sich Zeit genommen werden
muss. „Unverpackt“ ist ein Ort, an dem Menschen untereinander
interagieren und Gespräche führen. Solche Läden leben von den Personen,
die sie führen. Die Menschen kommen nicht allein wegen der guten
Produkte, sondern auch aufgrund der Wohlfühlatmosphäre, die wir ihnen
bieten.
Wie ist die Idee entstanden, „Unverpackt“ zu gründen?
Die Gründung von „Unverpackt“ war reiner Zufall. Ich bin gebürtiger Marokkaner und habe in Paris Wirtschaftsinformatik studiert. Als ich nach Deutschland kam, wurde mir aber mein Diplom nicht anerkannt, weshalb ich einige Semester nachholen musste. Parallel entschloss ich, meinen Betriebswirt an der Berufsschule zu machen. Ich arbeitete sechs Jahre für eine Reiseversicherung, war danach als Vertriebler tätig und traf nach einigen Jahren die Entscheidung, die Schreibtischarbeit komplett aufzugeben. Ich wollte schon immer meine eigene Bäckerei besitzen und eröffnete im April 2012 „Brotposten“. Hier werden hochwertige Backwaren vom Vortag, die aus Überproduktionen entstehen, zu günstigen Preisen verkauft. Der Laden ist auch heute noch sehr erfolgreich. Daraus ist dann schließlich die Idee für „Unverpackt“ entstanden.
Wie hat sich dann der weitere Prozess gestaltet?
Obwohl
„Brotposten“ sehr gut lief, wurde es uns irgendwann zu viel, zu zweit
in dem kleinen Laden zu stehen. Wir haben uns deshalb Gedanken über
verschiedene Ideen gemacht, die gleichzeitig innovativ und nachhaltig
sind, aber auch zu unseren Persönlichkeiten passen. Eines Morgens bin
ich dann auf einen Artikel in der WELT über den amerikanischen
ökologischen Schriftsteller Colin Beavan gestoßen, der das Konzept
„Müllfrei leben“ komplett in seinen Alltag integriert und darüber gerade
ein Buch veröffentlicht hatte. Ich fand die Idee sehr spannend und
beschloß, diese Philosophie in eine Geschäftsidee zu überführen. Damals
wusste ich noch nicht, dass in Kiel und Berlin bereits ähnliche
verpackungsfreie Läden existierten. So begann ich mit der Recherche,
schaute mir mehrere Dokumentationen zu dem Thema an und informierte mich
so gut es ging über mögliche Alternativen. Dass ich verpackungsfreie
Ware anbieten wollte stand schon fest, nun musste ich über den Standort
und die Finanzierung nachdenken. „Unverpackt“ wurde schließlich im Juni
2015 in Mainz eröffnet.
Von der IHK habe ich viele nützliche Tipps über mögliche Fördermittel bekommen.
Wie habt Ihr Euch am Anfang finanziert?
Von
der IHK habe ich viele nützliche Tipps über mögliche Fördermittel
bekommen. Ich wurde an die KfW weitergeleitet, die Gründer*innen mit
klassischen Förderkrediten unterstützt. Zusammen mit der KfW und meiner
Bank erhielt ich einen Kredit von 48.000 Euro. Danach ging es sehr
schnell und nach wenigen Monaten konnte ich meinen Laden eröffnen.
Hat das Thema Nachhaltigkeit schon immer eine große Bedeutung für Dich gehabt?
Ich sehe mich nicht als klassischen „Öko-Freak“. Meine erste große Liebe in Frankreich war jedoch eine Person, die sich intensiv mit ihrer Umwelt auseinandergesetzt und darauf geachtet hat, was sie konsumiert. Obwohl wir sehr unterschiedliche Menschen waren, hatten wir offensichtlich einen gemeinsamen Nenner. Ich war plötzlich auch Teil dieser großen Bewegung und sorgte mich um meine Umwelt. Ich persönlich mag Müll überhaupt nicht. Einen Grund weshalb ich „Brotposten“ und später „Unverpackt“ gegründet habe war, um Müll zu vermeiden und gleichzeitig Ressourcen zu schonen. Viele glauben, dass ein einzelner Mensch nicht viel bewegen kann. Ich glaube jedoch, dass jede*r Einzelne viel zur Veränderung und zum Umdenken in eine nachhaltigere Gesellschaft beitragen kann.
Ich glaube, dass jede*r Einzelne viel zum Umdenken in eine nachhaltigere Gesellschaft beitragen kann.
Welche Produkte bietet Ihr bei „Unverpackt“ an?
Unser Sortiment umfasst über 400 Produkte, von denen 97% Bioprodukte sind. Es sind hauptsächlich Lebensmittel im trockenen Zustand, wie Nüsse, Teigwaren, Gewürze oder Hülsenfrüchte, aber auch in Glas verpackte Produkte aus anderen Manufakturen. Zusätzlich bieten wir verschiedene Putz- und Körperpflegeprodukte an, wie Shampoo, Zahnbürsten oder hausgemachte Deos. Frische Milchprodukte kann ich leider noch nicht verkaufen, da die vielen Hygienevorschriften und die Lagerung zu kompliziert sind.
Viele Menschen sind der Meinung, dass
Bioprodukte überteuert sind. Sind die Produkte, die Du verkaufst im
Vergleich teurer als in herkömmlichen Supermärkten?
Bei
Bioprodukten ist der Ertrag viel geringer, die Herstellung aber auch
aufwändiger als bei herkömmlichen Produkten. Für den Biobauer ist die
Arbeit schwieriger als für den konventionellen Bauer. Biodünger und
Bio-zertifizierte Herbizide sind teurer als unkontrollierte Pestizide,
welche oft im Ackerbau verwendet werden. Es ist also klar, dass man für
Bioprodukte mehr zahlt als für andere. Ich habe manchmal das Gefühl,
dass wir in Deutschland so viele Lebensmittel zur Verfügung haben, dass
wir vergessen, die Nahrung wertzuschätzen. Das macht mich sehr wütend.
Von meiner Seite aus kann ich jedes einzelne Produkt nennen, das wir im
Sortiment anbieten. Ich weiß ganz genau was ich verkaufe, wo es herkommt
und unter welchen Bedingungen es produziert wird.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in Deutschland so viele Lebensmittel zur Verfügung haben, dass wir vergessen, die Nahrung wertzuschätzen.
Was bedeutet Bio für Dich persönlich?
Bio schmeckt für mich total gut und ist obendrein noch gesund. Ich merke zum Beispiel sofort, wenn Kurkuma im Supermarkt oder bei mir gekauft wurde. Geschmacklich sind Bioprodukte für mich einfach anders. Mich stört es auch nicht, wenn eine Karotte zehn Beine hat oder komisch aussieht, denn wenn sie gekocht ist, schmeckt sie besser als eine normale Karotte im Laden. In Marokko habe ich die Pfefferminze für meinen Tee aus dem Garten geholt. Ich bin also damit aufgewachsen, frische und unbehandelte Produkte genießen zu können.
Wie würdest Du Deine Kundschaft beschreiben?
Es sind immer sehr starke und unterschiedliche Charaktere. Wenn man zu uns kommt bedeutet es ja sowieso schon, dass man anders denkt und deswegen auch anders ist. Ich glaube auch, dass es Menschen sind, die es sehr genießen gut zu essen. Wenn man genau überlegt, was man die nächsten Tage kochen möchte, wird ein anderer Denkprozess angeregt. Es wird nicht mehr dem Impuls nach eingekauft, sondern wirklich überlegt, was benötigt wird.
Wie würdest Du behaupten, geht Deutschland mit dem Thema „Plastik“ um? Was könnte aus politischer Sicht verändert werden?
Ich glaube, dass noch viel zu wenig getan wird, um den Plastikkonsum in Deutschland zu reduzieren. Mittlerweile ist alles dem Lobbyismus und der freien Marktwirtschaft verfallen. Politiker sind schnell erpressbar und versuchen das Problem wegzuschieben. In Deutschland sind immer noch genügend Plastiktüten im Umlauf, mit dem Unterschied, dass wir jetzt auch noch 10 Cent dafür bezahlen. Langsam greifen die Medien immer häufiger dieses Thema auf und zwingen politische Meinungsträger hinzuhören. Trotzdem bin ich der Meinung, dass strengere Regulierungen durchgesetzt werden müssen. Frankreich beispielsweise hat ein Gesetz beschlossen, dass ab dem Jahr 2020 Einwegplastik verbietet. So ein Gesetz brauchen wir auch in Deutschland.
Wenn Du die Zukunft Deutschlands oder Deiner Region bestimmen könntest, was würdest Du sofort verändern?
Ich würde es mir wünschen, dass große Supermarktketten nicht mehr so viel Macht über die Lebensmittelindustrie besitzen. Die großen Konzerne haben mittlerweile einen so großen Einfluss, dass neue Ideen und Initiativen untergraben werden. Der Einzelhandel kann hiermit nicht konkurrieren, da es keine Gesetze gibt, die den Einzelhandel ausreichend schützen. Auch gute Lieferanten zu bekommen ist ein großes Problem, denn viele glauben, dass sich das Geschäft mit kleineren Läden nicht mehr lohnt.
Wie schätzt Du generell die zukünftigen Auswirkungen unseres Plastikkonsums ein?
Ein
Aspekt, der mir sehr viele Sorgen bereitet, ist das Thema Mikroplastik.
Viele glauben, dass Mikroplastik nur in Fischen enthalten ist.
Mittlerweile ist jedoch Mikroplastik bei über 90% der Menschen im Blut
nachzuweisen. Sogar bei Neugeborenen lässt sich ein geringer Anteil an
Plastik im Blut auffinden. Der Krebserreger Bisphenol A, der in Plastik
enthalten ist, wurde bereits 1966 entdeckt, jedoch hat sich in dieser
Hinsicht noch nicht viel getan. Wie schädlich Plastik überhaupt für
Mensch und Umwelt ist, wird erst seit einigen Jahren überhaupt
diskutiert. Plastik kann man nicht komplett aus unserem Leben verbannen,
wir können den Konsum aber trotzdem steuern, wenn uns die
Rahmenbedingungen geboten werden.
Wenn Produkte zu günstig verkauft werden, gibt es immer jemanden, der oder die letztlich dafür bezahlen muss.
Was kann jede und jeder von uns machen, um für ein Leben mit weniger Plastik beizutragen?
Zu aller erst sollte jeder Mensch seinen eigenen Schweinehund besiegen und sich bewusster mit seinem Konsum auseinandersetzten. Sich zu informieren und nach Alternativen zu suchen ist ein großer Teil davon. Ist es wirklich nötig, in Plastik eingepackte Äpfel aus Neuseeland zu kaufen statt regionaler Äpfel, die ein paar Cent mehr kosten? Wenn Produkte zu günstig verkauft werden, gibt es immer eine*n, der letztlich dafür bezahlen muss. Entweder wird in der Produktion, an der Verpackung oder bei der Hilfskraft eingespart. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Ihr bietet auch verschiedene Workshops und Weiterbildungsprogramme an…
Genau. In unseren Workshops lernen unsere Besucher*innen, wie sie bestimmte Produkte, wie Shampoo, Deo oder Pflanzenmilch ganz einfach zu Hause selbst herstellen können. Zusätzlich biete ich zusammen mit meiner Kollegin Julia Klös Veranstaltung zu einem minimalistischen Lebensstil an, in denen ich erkläre, wie man sich leichter von unnötigen Sachen trennen kann. Zudem besuchen uns auch Schüler, Kindergartengruppen und Studenten, die etwas über Nachhaltigkeit erfahren wollen oder sich für das Thema „Unverpackt“ interessieren. Wir sind einer der wenigen Läden, die solche Zusatzprogramme anbieten. Zusätzlich helfe ich durch private Seminare Quereinsteigern dabei, ihren eigenen verpackungsfreien Laden zu gründen.
Wir bieten Workshops zum Thema an und helfen dabei, andere Unverpackt Läden zu gründen.
Was würdest Du den Menschen raten, die selbst gründen wollen?
Es
gehört auf jeden Fall viel Mut dazu. Man muss zu 100% zu dem stehen,
was man machen möchte, denn der Kunde wird immer merken, wenn etwas
nicht von Herzen kommt. Es steckt viel Arbeit dahinter. Das sollte man
auf jeden Fall wissen.
Was war Deine größte Herausforderung und Dein größter Lerneffekt in dem Prozess?
Für
mich war es immer eine große Herausforderung, dass die Kund*innen
verstehen, was wir machen und warum. Die Hälfte unserer Kund*innen ist
Laufkundschaft, die wir natürlich sofort über das Thema Nachhaltigkeit
einfangen wollen. Hinter unserer Arbeit steckt immer eine kleine
Besonderheit: Wir lieben unsere Umwelt und bieten eine gute Alternative,
die mit unseren Werten in Einklang steht. Dann ist es für mich auch
egal, ob ich jetzt 10 oder 12 Stunden im Laden gearbeitet habe. Meine
Arbeit bereitet mir einfach eine enorme Freude und erfüllt mich als
Menschen. Ich lerne durch meine Arbeit sehr viele neue Leute kennen, mit
denen ich auch schon richtige Freundschaftsbeziehungen aufbauen konnte.
Wenn ich es schaffe diese Menschen zu begeistern, schaffen diese es
wiederum in ihrem Kreis auch.
Gibt es denn noch andere Initiativen oder Projekte, die Du empfehlen möchtest?
Ja, die BUNDJugend Rheinland-Pfalz, das Bergwerk EG Strom und Greenpeace Wiesbaden leisten tolle Arbeit.