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Marie Kaiser über ihr Engagement bei Pulse of Europe und die Aktivierung von jungen Menschen für gesellschaftspolitische Themen.

Das Wissen der geschichtlichen Zusammenhänge ist notwendig, damit die Menschen wissen, warum sie sich heute für Europa einsetzen müssen.

Marie Kaiser hat zusammen mit einer Gruppe ihr zuvor unbekannter Menschen den Pulse of Europe (PoE) auf die Straßen von Mainz gebracht und die Veranstaltung moderiert. Sie ist 22 Jahre alt, studiert in Mainz Politik und stellt zurzeit auf diversen Podien im Rhein-Main-Gebiet ihre Ideen zur Zukunft Europas vor. Ihr Ziel ist ein reformiertes Bildungssystem, in dem der kritische Blick junger Menschen auf gesellschaftliche Verhältnisse gefördert wird.

Interview: Daniela Mahr, Juli 2018
Foto: Marie Kauser

Es wird oft gesagt, dass sich junge Menschen nicht für Politik und gesellschaftliche Themen im Allgemeinen interessieren. Aber das stimmt so nicht.

Was ist Pulse of Europe?

Es handelt sich um eine überparteiliche und unabhängige Bürgerinitiative. Sie wurde 2016 in Frankfurt am Main von Sabine und Daniel Röder mit dem Ziel gegründet, „den europäischen Gedanken wieder sichtbar und hörbar [zu] machen“. Als Reaktion auf den BREXIT und das Erstarken rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien in Europa, wollte man eine öffentliche und klar proeuropäische Bewegung etablieren. Seit dem 7. April 2017 ist Pulse of Europe ein eingetragener Verein.

Was brachte Dich dazu, den Pulse of Europe (PoE) in Mainz zu organisieren?

Ich war in Wiesbaden beim PoE und fand das so spannend, dass ich eine Mail an die Frankfurter Organisator:innen schrieb und fragte, warum es das nicht auch in Mainz gibt. Sie berichteten mir, dass bereits andere Interessent:innen aus Mainz angefragt hatten und schlugen ein Treffen vor. Eine Woche später saßen wir mit 15 Personen in der Mainzer Neustadtkneipe „Krokodil“ zusammen und begannen mit der Planung.


Woher wusstet ihr, wie ihr vorgehen müsst?

Bereits vor unserem Treffen im „Krokodil“ stand der Termin des ersten PoE in Mainz für eine Woche später fest. Jemand aus der Gruppe hatte Dirk Vielmeyer, den Organisator des Wiesbadener PoE kontaktiert und die Veranstaltung mit ihm zusammen angemeldet. Wir saßen also zusammen, hatten weder Technik noch irgendeinen Plan, waren aber schon angemeldet (lacht). An diesem Abend wurde dann alles geplant: Wer moderiert (das war unter anderem ich), wer kümmert sich um die Technik und so weiter. Ich habe dann direkt eine Facebookveranstaltung erstellt, die total durch die Decke ging.

Man braucht ein gutes Team, das alle Bereiche abdeckt und es schafft, Menschen zu begeistern.

Wie verlief die Veranstaltung?

Laut SWR kamen zur ersten Veranstaltung mehr als 1000 Personen. Wegen des sehr schlechten Wetters hatten wir mit viel weniger Teilnehmern gerechnet. In den drei Wochen darauf hatten wir, die wir uns selbst erst kennen lernten, spontan noch drei weitere Veranstaltungen organisiert. Eine davon auf der Theodor Heuss Brücke, zusammen mit Dirk Vielmeyer.

Was war Dein größter Lerneffekt aus der Arbeit bei Pulse of Europe?

Die Tatsache, dass man viele tolle Menschen mit den unterschiedlichsten Kompetenzen um sich haben muss. Das fiel vor allem auf, als unser technikaffiner Mitstreiter wegen Studium und Arbeit aussteigen musste. Wir mussten daraufhin richtig tief in die Tasche greifen, um die Technik zu finanzieren.

Ein gutes Team, das alle Bereiche abdeckt, ist der zentrale Punkt. Das habe ich bei allen Veranstaltungen gelernt, ob PoE oder andere.

Ein anderer Punkt ist, dass ich nicht so gut darin bin, Kontakte zu pflegen. Deshalb habe ich auch einige Hoffnungen in dieses Netzwerk hier (lacht). Da hätte man alle zusammen auf einen Blick. Newsletter nerven, Visitenkarten nehme ich und stecke sie weg und Facebook ist nicht professionell genug. Es wäre toll, wenn ich sehen könnte: Diese Person habe ich vor zwei Jahren an der Stelle getroffen und die könnte mir doch bei dem neuen Projekt weiterhelfen.

Was machst Du, wenn Du nicht Pulse of Europe organisierst?

Ich studiere Politik und Publizistik in Mainz und arbeite in der politischen Bildung. Vor einiger Zeit habe ich in Frankreich ein Praktikum bei einem europäischen Bildungszentrum gemacht. Das brachte mich der Europa-Thematik näher. Gerade haben wir wieder ein neues europäisches Projekt gestartet!

Und manchmal halte ich Vorträge darüber, wie man Menschen dazu bringt, sich politisch zu engagieren. Seit eineinhalb Jahren bin ich Mitglied der SPD und seit drei Monaten im Vorstand der Altstadt-SPD Mainz.

Wie bringt man Menschen dazu, sich politisch zu engagieren?

Als Erstes ist es wichtig, die jeweilige Zielgruppe richtig anzusprechen: Wie kommuniziert man das, was man mitteilen möchte so, dass es auch ankommt? Man muss Menschen auf allen Kanälen erreichen. Facebook ist hier nur einer von vielen. Es ist viel Pressearbeit nötig und man muss sehr viel Durchhaltevermögen mitbringen. Ich habe so viele Telefonate geführt und musste immer wieder nachhaken.

Das ist teilweise frustrierend, aber man muss dranbleiben und braucht ein gutes Team. Mit einem guten Team, das etwas auf die Beine stellen und die Menschen begeistern kann, funktioniert es. Das Problem ist, dass viele Projekte gute Inhalte haben, die Organisator:innen es aber leider nicht schaffen, diese ansprechend zu vermitteln. Deshalb gibt es so viele tolle Projekte, die aber leider niemand kennt.

Politische Themen müssen spannender gestaltet werden.

Wie schätzt Du das Interesse von jungen Menschen an Politik und gesellschaftlichem Engagement ein?

Es wird oft gesagt, dass sich junge Menschen nicht für Politik und gesellschaftliche Themen im Allgemeinen interessieren. Aber das stimmt so nicht. Es gibt viele junge Menschen, die auch selbst aktiv werden. Gleichzeitig existiert das, was man Studien entnehmen kann. Viele junge Menschen sagen: „Warum soll ich überhaupt wählen gehen? Es macht doch keinen Unterschied.“ Genau diese Statistiken sollten Anlass sein, Politik und politische Themen spannender zu gestalten.


Was ist an dem Gefühl dran, dass junge Menschen glauben, dass sie nicht gehört werden? Fehlt es ihnen an Selbstvertrauen oder hört man sie wirklich nicht?

Ja und nein. Ja, weil sie sich natürlich zutrauen müssen, ihre Position zu entwickeln und sich gesellschaftlich zu beteiligen. Auf der anderen Seite kann man den Missmut verstehen, wenn man sieht, wie viele alte Hasen in der Politik sitzen und wie viele Posten einfach nur hin und her geschoben werden. Da kann einem schon die Lust vergehen. Wenn man sich aber traut, selbst etwas auf die Beine zu stellen, dann wird man gehört und zu öffentlichen Gesprächen und Podien eingeladen.

Bildungsarbeit ist das allerwichtigste und der Schlüssel.

Was rätst Du Menschen, die aktiv werden möchten?

Sich zu trauen, einfach anzufangen. Man muss sich fragen: Was ist der allererste Schritt, den ich gehen muss? Und wenn es nur der Anruf bei der Freundin ist, der man davon erzählt, dass man sich engagieren möchte. Nachdem dieser erste Schritt getan ist, geht es ganz automatisch weiter. Wenn man sich erst einmal überwunden hat, dann gibt es einem tausendfach mehr Energie zurück als man investiert. Die erste Überwindung und der Sprung ins kalte Wasser haben mich persönlich mehr geprägt als alles andere.

Wie stehst Du zum ehrenamtlichen Engagement?

Ich war gerade gestern Abend auf einer Veranstaltung zum Thema Flüchtlingshilfe im „Schon Schön“, einem Mainzer Kulturclub. Hier wurde vor allem darüber gesprochen, was ehren- und was hauptamtlich zu meistern ist. Ich habe selbst 2015 viel Zeit in der Flüchtlingshilfe in Form von Sprachkursen und Spenden sammeln verbracht.

Auf der einen Seite war es unglaublich erfüllend zu sehen, wie viel die Menschen zurückgeben wollen, obwohl sie selbst kaum etwas haben. Doch lange Zeit kann man das nicht mit diesem Pensum realisieren. Zudem fand ich mich immer wieder in Situationen, in denen einfach eine geschulte Person dort hätte sitzen müssen.

Ehrenamtliche können Behördengänge machen oder andere einfache Aufgaben. Für die Hauptaufgaben müssen aber hauptamtliche und geschulte Kräfte vor Ort sein. Dazu braucht es die Finanzierung aus der Politik, vom Land und den Kommunen. Kommunen sind meistens pleite, wie in Mainz. Deswegen rufen sie umso mehr nach Ehrenamtlichen. Aber auf Dauer funktioniert das nicht. Es braucht beides: Ehrenamt und Hauptamt, aber in angemessener Balance.

Uns geht es einfach zu gut.


Warum glaubst Du, gehen die Menschen heute weniger auf die Straßen?

Uns geht es einfach zu gut. Die Gefahr ist eklatant hoch, dass die politische Situation in den nächsten Jahren schlimmer wird. Wir wissen nicht, was bei der nächsten Bundestagswahl passiert. Aber alle sind einfach nur unglaublich entspannt. Die meisten von uns denken nicht nachhaltig und auf längere Sicht. Das hat man auch bei PoE gemerkt. Nachdem Macron in Frankreich die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte sah man sofort, dass die Menschen nicht mehr das Bedürfnis verspürten, auf die Straßen zu gehen. Dabei ist die Gefahr lange nicht gebannt. In ganz Europa sieht man, dass die Parteienlandschaft sich eher rückwärts und nach rechts richtet.

Aufklärung könnte helfen …

Ja, unbedingt! Bildungsarbeit ist das allerwichtigste und der Schlüssel. Geschichte und Sozialkunde werden viel zu spät und dann auch noch in verhältnismäßig wenigen Stunden unterrichtet. Vor kurzem war ich bei einer Veranstaltung mit Malu Dreyer. Hier wünschten sich die SchülerInnen selbst mehr Sozialkundeunterricht. Von Seiten der Politik kamen eher ausweichende Antworten. Es existiert sogar die Möglichkeit, Geschichte und/oder Sozialkunde in der Oberstufe abzuwählen. Das ist ein Unding und zeigt den Wert, der diesen Themen beigemessen wird. Wichtig wäre, geschichtliche Themen auf die heutige Zeit transferieren zu können. Das steht und fällt mit der Bildung.

Menschen mit 18 haben zum Teil unglaubliche Bildungslücken. Aber genau das Wissen der geschichtlichen Zusammenhänge ist notwendig, damit sie wissen, warum sie sich heute für Europa einsetzen müssen. Viele Lehrer machen schon viele Überstunden, geben Workshops und engagieren sich. Was fehlt, ist der Wille auf Landesebene. Ich kenne viele Lehrer und weiß, dass der Wunsch nach mehr Bildungsarbeit vorhanden ist.

Haben Schule und Elternhaus Dich in Deinem Engagement und Deinem politischen Interesse bestärkt?

Ja, ich war in Mainz Gonsenheim auf der Schule und hatte tolle Lehrer die mich sehr geprägt haben und mit denen ich noch immer in Kontakt stehe. Ich komme zwar auch aus einem sehr politischen Elternhaus, aber meine Lehrer haben mindestens einen genauso großen Beitrag geleistet. Bei mir hat es quasi schon im Kindergarten angefangen (lacht) und diese Möglichkeit wünsche ich mir für andere auch.

Welche Änderungen wären im Bildungssystem nötig, damit Demokratie gestärkt wird?

Die Schülervertretung darf nicht nur symbolisch bestehen, sondern muss auch echten Einfluss haben. Ich war selbst in der Schülervertretung und man konnte mit allem zu uns kommen, aber wirklich ausrichten konnten wir letztlich dann doch nichts. Die Menschen sollten schon im Kindesalter erfahren, dass ihre Stimme zählt und sie Einfluss auf wichtige Entscheidungen haben können.

Junge Menschen müssen eine Position entwickeln. Dann werden sie auch gehört.


Was hat sich für Dich persönlich aus Deinem Engagement entwickelt?

Ich bekomme plötzlich Anfragen für Podiumsdiskussionen und Talkrunden, bei denen ich neben dem Europa-Staatsminister oder einem ehemaligen Landesminister und Abgeordneten sitze. Ich denke mir: "Wow, vielen Dank, aber kann ich wirklich einen Mehrwert zu dem Gespräch beitragen? Wieso gerade ich?“
Dann merkt man aber, dass die Menschen sich wirklich für dich interessieren, wenn du eine Position hast und diese auch öffentlich vertrittst. Das wäre auch noch eine Anmerkung zu der vorigen Frage.

Die jungen Menschen werden gehört, sie müssen nur eine Position entwickeln und sie ausdrücken. Ich werde außerdem für verschiedene Projekte angefragt. Es ist toll zu sehen, dass es doch einige gibt, die junge Leute mit ins Boot holen. Ansonsten muss man sich als junger Mensch und Frau schon durchbeißen.

Du sagst, als junge Frau muss man sich durchbeißen. Wie macht sich das bemerkbar?

Na ja, ich höre selbst von Gleichaltrigen Sätze wie: „Wow, Du bist eine Frau und engagiert.“ Der Satz kommt meistens von Männern und das stört mich schon, denn eigentlich möchte man sich ja auf einer inhaltlichen Ebene begegnen. Aber tatsächlich treffe ich insgesamt weniger Frauen als Männer, die sich politisch engagieren.

Oft komme ich zu einem Treffen und denke: „Oh, schon wieder die einzige Frau im Raum.“ Das ist schon seltsam und sollte die Frage aufwerfen, was in der Politik falsch läuft. Ansonsten sind die Unterschiede die gleichen, die ich auch erfahre, wenn ich mich mit Menschen auf einer nicht politischen Ebene unterhalte. Man muss als Frau einfach selbstsicher auftreten und sich Dinge trauen. Und: Frauen müssen sich gegenseitig unterstützen.


Wenn Du ab heute die Zukunft von Mainz bestimmen könntest, was würdest Du direkt angehen?

Ich würde die Bildungssysteme überarbeiten und dafür sorgen, dass jede Schule mindestens vierteljährlich einen Workshop zu politischen Themen durchführt. Nur regional bringt das natürlich nichts, weil es bundes- und weltweit geschehen müsste.

Wer sind die Menschen oder Projekte, die man in Mainz nicht übersehen sollte?

Das Open Ohr sollte man auf keinen Fall verpassen. Hier kommen auch viele tolle Menschen zusammen, die man zum Beispiel mit einem Stand erreichen kann. Es gibt so viele tolle Projekte in Mainz. Spontan fallen mir save me, das Welcome Dinner oder refill ein.

Marie Kaiser auf reflecta.network

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