Michael Weber über new work und die Entwicklung sozialer Innovationen
Als interdisziplinäres Team entwickeln wir nutzenstiftende Produkte, nachhaltige Geschäftsmodelle und soziale Innovationen.
Michael Weber hat mit Eva Jahnen und Paul Weber Ende 2017 das Creators Collective in Wiesbaden gegründet.
Creators Collective ist eine Gruppe von Kreativen aus unterschiedlichsten Disziplinen wie Kommunikations- und Produktdesign, Architektur, Film, Maschinenbau, Beratung, Pädagogik und Entrepreneurship. Sie teilen eine gemeinsame Vision von einer nachhaltigeren und menschenfreundlicheren Gesellschaft. In ihrer Arbeit erforschen sie Innovations- und Veränderungspotenziale und setzen sie in neue Produkte und Erlebnisse um.
Interview: Daniela Mahr, Mai 2019
In den letzten Jahren ist mir immer wichtiger geworden, nicht nur gute Ideen, Strategien und Visionen zu entwickeln, sondern diese auch in die Realität zu bringen.
Was hast Du gemacht bevor Du das Creators Collective gegründet hast?
Ich habe BWL studiert und anschließend sechs Jahre für eine große Unternehmensberatung gearbeitet. Dabei ging es auch um spannende Themen wie die Modernisierung der Verwaltung oder strategische Steuerung im Bildungsbereich. Es hat mir aber der kreative und innovative Teil bei der Lösung von Problemen gefehlt. Die Suche danach brachte mich zum Thema Design Thinking, das die Herangehensweise von Designern auf unternehmerische und gesellschaftliche Fragestellungen überträgt. In der Beratung konnte mit der Methode damals noch niemand etwas anfangen, daher habe ich in eine digitale Kreativagentur gewechselt, bei der ich mich hauptsächlich um die Entwicklung eines neuartigen Medizinproduktes gekümmert habe.
2014 habe ich mich selbständig gemacht und zusammen mit Svenja Bickert-Appleby und Sascha Eschmann das Innovationslabor „Future Flux“ gegründet. Die Idee war, mit Hilfe von Design Thinking soziale und nachhaltige Innovationsprozesse zu begleiten.
In den letzten Jahren ist mir aber immer wichtiger
geworden, nicht nur gute Ideen, Strategien und Visionen zu entwickeln,
sondern diese auch in die Realität zu bringen. Denn Innovationen
widersprechen häufig den Anforderungen des Tagesgeschäfts und setzen
Risikobereitschaft voraus. Daran scheitert häufig die Umsetzung nach
einem Design Thinking Prozess. Diese Erkenntnis brachte mich zum
Creators Collective.
Was ist das Besondere an Creators Collective?
Wir
sind ein Team, das den kompletten Entwicklungsprozess sozialer und
nachhaltiger Innovationen von der Idee bis zur Umsetzung mitbegleiten
kann. Inzwischen sind wir vierzehn Personen, die projektbezogen
zusammenarbeiten. Gegründet habe ich Creators Collective zusammen mit
Eva Jahnen und Paul Weber. Paul ist Maschinenbau-Ingenieur und tobt sich
gerne in unserer Werkstatt aus, in der wir Prototypen und Kleinserien
fertigen können. Eva ist Kommunikationsdesignerin und macht unter
anderem diese wunderbaren Handletterings, die Du hier überall sehen
kannst. Außerdem sind im Team mehrere Produkt- und
Kommunikationsdesigner*innen, eine Filmemacherin, ein Illustrator, zwei
Architekten, ein Coach für agiles Projektmanagement und eine
Wildnispädagogin. Wir leben das, was man gemeinhin als ‚New Work‘
bezeichnet. Die menschliche Komponente ist uns allen sehr wichtig.
Wir agieren einerseits als Unternehmen, arbeiten aber im Team gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammen.
Woran zeigt sich das neue Arbeitsmodell, das ihr lebt?
Wir
agieren einerseits als Unternehmen, arbeiten aber im Team
gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammen. Alle können Ideen und neue
Projekte einbringen und Verantwortung übernehmen.
Unser Raum
spielt dabei eine große Rolle, denn er soll Begegnungsort sein, an dem
wir Menschen für soziale und nachhaltige Themen begeistern. Wir führen
hier regelmäßig Veranstaltungen und Wohnzimmerkonzerte durch. Unsere
Möbel sind zum größten Teil selbstgebaut und basieren auf eigenen
Entwürfen oder Open Source Modellen. In der Werkstatt haben wir unter
anderem die Möglichkeit, mit Werkzeugen wie dem 3D-Drucker, Lasercutter
oder der CNC-Fräse Prototypen schnell herzustellen.
Welche Projekte betreut ihr hauptsächlich? Kannst Du Beispiele nennen?
Zum Thema Bildung sind wir Entwicklungspartner für das Projekt „Make Your School“
der Berliner Stiftung „Wissenschaft im Dialog“. Dabei geht es darum,
drei Tage lang in Schulen zu gehen und eine Art Hackathon zu
veranstalten. Die Schüler*innen entwickeln dabei zunächst eine Idee, was
sie an ihrer Schule verbessern können, und setzen diese dann mit Hilfe
von Elektronik, Mikrocontrollern und Robotik um. In dem Prozess
entstehen die verrücktesten Ideen wie Roboter, die Witze erzählen oder
erste Hilfe leisten. Die jungen Menschen lernen so auf eine spielerische
Art mit den technischen Möglichkeiten umzugehen und diese zu
durchschauen. Gerade auch für Mädchen ist es eine tolle Erfahrung, dass
sie mit der Technik genauso gut umgehen können wie die Jungs und in der
Lage sind einen Roboter zu programmieren. Die Hackdays laufen außerhalb
der klassischen Unterrichtsmodelle, niemand gibt den Schüler*innen die
Arbeitsschritte vor. Innerhalb der drei Tage helfen zwar Mentoren bei
technischen Fragen, das Team muss aber selbst seine Idee entwickeln und
umsetzen.
Daneben entwickeln wir zum Beispiel auch Produkte im
Medizinbereich von der Nutzerforschung über die Vision bis hin zum
Produktdesign und dem Engineering. Im sozialen Bereich arbeiten wir
unter anderem für die Ubuntu-Initiative, die wir bei der Entwicklung eines Informationsportals für Geflüchtete unterstützten.
Ein weiteres Thema ist die Planung und Gestaltung von kreativen und innovativen Raumkonzepten.
Wir wollen nichts predigen, was wir nicht selbst leben.
Wie trefft ihr auf diese spannenden Projekte?
Manchmal
sind es glückliche Zufälle. In dem Fall von „Make Your School“ kam die
Anfrage zum Beispiel über den MakerSpace Wiesbaden, bei dem mein
Mitgründer Paul und ich Mitglied sind. Es wurden Mentoren für den ersten
Piloten gesucht. Das haben wir übernommen und so ist das ganze Projekt
daraus entstanden. Paul und ich haben uns über das Projekt sogar erst
kennengelernt. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie ein Ereignis zum
anderen führt.
Welche Themen sind Dir besonders wichtig?
Das
Thema Bildung ist mir besonders wichtig. Da ich eine zehnjährige
Tochter habe, erlebe ich live mit, was in unserem heutigen
Bildungssystem alles schiefläuft. Neben dem Make Your School Projekt
unterstützen wir auch das Bildungsfestival Wiesbaden und sind Teil
mehrerer Initiativen in diesem Bereich.
Weiterhin beschäftige ich mich mit verschiedenen Facetten des Themas Nachhaltigkeit. Vom täglichen Konsum bis zur Frage, wie die Städte der Zukunft zu lebenswerteren und nachhaltigeren urbanen Räumen werden können. Dazu haben wir zum Beispiel unser Plakat „Der Mensch im Zentrum“ gestaltet, mit dem wir nach außen gehen und unsere Vision vorstellen. Wir möchten uns damit klar als Vordenker positionieren. Isabelle und Lars hatten das Plakat bei der Utopie-Konferenz dabei und wurden damit kurzerhand neben Richard David Precht auf das Podium geladen.
Ihr macht einiges aus Eigeninitiative.
Ja,
denn das ist Teil unserer Arbeitsweise. Natürlich müssen wir auch
kommerzielle Projekte annehmen, um uns finanzieren zu können. Aber es
gibt auch Projekte, die uns unter den Nägeln brennen und bei denen die
Finanzierung dann zweitrangig ist. Dinge wie das Poster können wir
umsetzen, weil wir Designkapazitäten im Team haben. Das nutzen wir
natürlich, denn so werden unsere Visionen greifbarer.
Wir machen auch regelmäßig interne Workshops. Wir wollen nichts predigen, was wir nicht selbst leben. So haben wir uns genau überlegt, in welchen alltäglichen Bereichen wir in unserem Berufsalltag ökologisch und sozial verantwortlich handeln können. Angefangen vom Essen, über Verpackungen, Müll, Energie, die Materialien, die wir in der Werkstatt verwenden, unsere eigene Mobilität bis zu den Dienstleistungen die wir nutzen. Bei all diesen Punkten versuchen wir nachhaltig zu handeln und hoffen, so auch andere damit anstecken zu können.
Für Neues braucht man ein hohes Maß an Offenheit.
Was waren für Dich die lehrreichsten Erfahrungen in Deiner Entwicklung bis hin zum Creators Collective?
Für
Neues braucht man ein hohes Maß an Offenheit. Man muss immer wieder
bereit sein, Dinge auszuprobieren, zu lernen und wenn nötig die Richtung
anzupassen. Es gab immer wieder Faktoren, die ich nicht einplanen
konnte. Dann musste ich die Richtung ändern. Dasselbe beobachte ich auch
bei vielen Projekten, die ich begleite.
Eine der Gründe, warum ich
Creators Collective gegründet habe war, dass ich ganz verschiedene und
interdisziplinäre Menschen um mich haben wollte. Ansonsten erlebt man
die Disziplinen oft in Silos: Die Marketingfirma, das Ingenieursbüro,
die Produktentwicklung und so weiter. Meine Vision war, dass die Arbeit
doch viel besser funktionieren würde, wenn alle gemeinsam an einem
Strang ziehen. Heute freue ich mich, weil ich sehen kann wie es
funktioniert. Natürlich ist es auch eine Herausforderung, weil manchmal
wirklich sehr verschiedene Herangehensweisen und Meinungen
aufeinanderstoßen, aber die Auseinandersetzung lohnt sich sehr. Ich sehe
mich als Raumgeber und Vernetzer und freue mich, wenn plötzlich Dinge
passieren, die ich gar nicht vorhergesehen habe.
Was sind die Herausforderungen, die Du erlebst?
Es
ist nicht immer leicht, das Thema soziale und ökologische
Nachhaltigkeit groß zu schreiben und gleichzeitig finanziell auf gutem
Fuß zu stehen. Es gibt viele großartige Projekte und Initiativen, aber
die haben leider häufig keine oder zu geringe finanzielle Mittel. Man
muss schauen, wie man die Balance zwischen ehrenamtlichem Engagement und
finanzieller Sicherheit hinbekommt.
Ich finde nicht, dass man schlechte Dinge tun sollte und sich dann mit dem verdienten Geld freikauft, um anschließend Gutes zu tun
Vor der
Herausforderung, die Balance im eigenen nachhaltigen Wirtschaften zu
schaffen, befinden sich viele Menschen. Ist das ein Drahtseilakt?
Ich
finde nicht, dass man schlechte Dinge tun sollte und sich dann mit dem
verdienten Geld freikauft, um anschließend Gutes zu tun. Obwohl das
natürlich immer noch besser ist, als nur Schlechtes zu tun. Muhammad
Yunus hat ja mal gesagt, dass man die erste Lebenshälfte für sich
arbeiten und Geld verdienen soll und die zweite Lebenshälfte dann für
andere. Ich glaube, das geht schon früher und dass man auch bei
kommerziellen Projekten einen Wertemaßstab anlegen sollte. Ein Beispiel
ist unsere Entwicklung eines Medizinproduktes, die ja von einem
kommerziellen Hersteller finanziert wird. Mit dem Projekt verdienen wir
Geld und haben trotzdem die Möglichkeit, in allen Aspekten positiven
Einfluss zu nehmen. Das betrifft zum Beispiel die Auswahl und Herkunft
der Materialien und die sozialen Produktionsbedingungen. Für mich
persönlich ist es keine Alternative, in Projekten zu arbeiten, hinter
deren Werte ich nicht stehe.
Was hat Dir persönliche Sicherheit auf Deinem Weg in die Selbstständigkeit und Gründung gegeben?
Mein
fatalistischer Optimismus, also der feste Glaube daran, dass die Idee
richtig ist. Natürlich braucht es Durchhaltevermögen, aber wenn man von
der Grundidee überzeugt ist, dann fällt es nicht so schwer. Wenn man
sich dann noch mit den richtigen Menschen umgibt, kann fast nichts mehr
schiefgehen.
Wenn man sich mit den richtigen Menschen umgibt, kann fast nichts mehr schiefgehen.
Würdest Du rückblickend heute etwas anders machen?
Die
Entscheidung BWL zu studieren würde ich heute überdenken. Aus heutiger
Sicht hätte ich vielleicht eher etwas im Bereich Design oder Architektur
studieren sollen. Aber unter Umständen hat mir gerade mein Weg die
Fähigkeit eröffnet, unterschiedliche Lebens- und Denkweisen zu einem
größeren Ganzen zusammenzubringen.
Wenn Du die Zukunft von Wiesbaden gestalten könntest, was würdest Du direkt angehen?
Ich
finde Wiesbaden spannend, weil es zwei Gesichter hat. Das eine ist das,
was von außen häufig wahrgenommen wird: Das verstaubte Wiesbaden, die
Kurstadt, etwas versnobt und manch einer wartet noch auf die Rückkehr
des Kaisers. Da ist auch etwas Wahres dran. Teile der Stadtpolitik sind
mit sehr konservativen Menschen besetzt, die möglichen Fortschritt
ausbremsen. Die Schwerpunkte sind hier häufig sehr kommerziell und zum
Teil rückwärtsgewandt. Das sieht man bei den Themen Mobilität oder
Kultur. Die Automobilausstellung auf dem Marktplatz und das nächste
Stadtfest sind wichtiger als alternative Kulturangebote wie der Cirque
Bouffon, ein Festival für junge Menschen oder ein zukunftsfähiges
Mobilitätskonzept – wobei sich im Bereich Mobilität gerade einiges tut.
Das ist auf jeden Fall auch eine Generationenfrage.
Aktuell legt das 'alte Wiesbaden' dem Teil, der nachhaltig, sozial und innovativ gestalten möchte, noch sehr viele Steine in den Weg.
Andererseits sehe ich, dass Wiesbaden voller kreativer und innovativer Energie steckt und unglaublich viel Großartiges entsteht. Dem würde ich mehr Raum geben. Ich habe das Gefühl, dass hier so viel Potenzial in den einzelnen Kiezen liegt, das nur darauf wartet, sich mehr entfalten zu können. Aktuell legt das „alte Wiesbaden“ dem Teil, der nachhaltig, sozial und innovativ gestalten möchte, noch sehr viele Steine in den Weg. Hier würde ich ansetzen und überlegen, wie man das fördern kann. Dabei denke ich zum Beispiel an das Walhalla oder das Alte Gericht. Da ist so viel Potenzial und die Stadt könnte die Situation nutzen und voranschreiten. Ein neues Verkehrskonzept mit einem klaren Bekenntnis zum Klimaschutz, ein Kreativ- und Gründerzentrum im Alten Gericht und das Walhalla als kulturellen Ort – das sind einige der Stellen, die ich sofort angehen würde.
Wer sind die Menschen, was die Initiativen und Projekte, die man nicht übersehen sollte?
Ob es nun der Heimathafen mit der kreativen Gründerszene ist, das Wakker am Wallufer Platz, das Schloss Freudenberg mit dem Erfahrungsfeld der Sinne, Hans Reitz mit seinen Social Business Projekten oder der Schlachthof,
der mit dem Kulturpark einen wahnsinnig tollen Nährboden für Vielfalt
und Alternativkultur bietet. Wiesbaden hat unglaublich viel zu bieten,
das sich zu entdecken lohnt.