24/04/18 · Interviews
Sébastien Martin über das Unterstützungsprogramm Impact Collective
Mit dem Programm des Impact Collectives helfen wir guten Projekten dabei, dass ihr Vorhaben erfolgreich wird.
Sebastién Martin berät seit vielen Jahren Menschen, die sich gesellschaftlichen Herausforderungen annehmen möchten, war Leiter des Social Impact Labs Frankfurt, und hat nun mit dem Impact Collective den ersten Accelerator für Social Business und Social Entrepreneurship in Deutschland gegründet.
Interview: Daniela Mahr, Februar 2019
Foto: Sébastien Martin
Wir glauben, dass es eine gemeinsame Anstrengung braucht, um das Ökosystem weiter zu professionalisieren und für ein Gründen attraktiver zu machen.
Was hast Du gemacht, bevor Du das Impact Collective gegründet hast? Wie war Dein Weg dorthin?
Ich war mehr als 20 Jahre in der Finanzwirtschaft tätig. Von der Ausbildung zum Bankkaufmann bis zum Geschäftsführer einer jungen Bank konnte ich sehr viele Aspekte des Finanzgeschäfts erleben und mitgestalten. Den überwiegenden Teil meiner Karriere habe ich im Innovationsmanagement gearbeitet und neue Produkte oder neue Märkte entwickelt. Da das in der Regel Projekte waren, die komplett auf der „grünen Wiese“ entstanden, also weder Budget noch Mitarbeiter oder Kunden hatten, war da oft eine Art Startup-Feeling in den Unternehmen. Zuletzt war ich in der Geschäftsführung eines Bankenstartups in Schweden tätig.
Eigentlich wollte ich mich danach in Ruhe neu erfinden. Ein ehemaliger Kollege und gleichzeitig geschätzter Bekannter erzählte mir dann aber beim Surfen, dass er in einem Startup als Mitgründer einsteigt, mit dem Ziel, exorbitante Zinsen auf Mikrokredite in der Subsahara-Zone zu bekämpfen. Ich fand das Thema spannend, wollte investieren und lernte die beiden anderen Gründer kennen, die die Idee entwickelten. Sie erzählten mir etwas von „Social Entrepreneurship“, wovon ich vorher noch nie gehört hatte. Das Thema ließ mir keine Ruhe und es ging Schlag-auf-Schlag weiter. Ich lernte immer mehr Pioniere in der Szene kennen und wusste dann einfach, dass das hier meine neue Aufgabe werden würde.
Vielleicht muss man dazu wissen, dass ich
ein Schicksal mit 99% aller Banker teile: wir hatten alle eigentlich
anderen Pläne für das Leben, als wir jung waren. So war das auch bei
mir. Ich war zwar schon sehr früh an wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Zusammenhängen interessiert. Wirklich faszinierte
mich allerdings Joseph Beuys, der ja bekannt ist für seinen Satz „Jeder
Mensch ist ein Künstler“. Damit meinte er, dass jeder Mensch ein
kreatives Potenzial in sich trägt und sich damit für die
Weiterentwicklung der Gesellschaft einbringen kann – vielleicht sogar
muss. Irgendwie wollte ich das immer für mich verwirklichen und mit
meinem Interesse für Wirtschaft zusammenbringen. Im Social
Entrepreneurship finde ich beides wieder: eine sehr kreative Szene, die
eine positive gesellschaftliche bzw. ökologische Wirkung entfalten will
und dafür unternehmerische Mittel einsetzt.
Was gab Dir letztlich den Anstoß, Impact Collective zu gründen?
Ich habe in den letzten drei Jahren mit sehr vielen
gründungswilligen Menschen als Coach und Mentor gearbeitet und
festgestellt, dass die Herausforderungen nahezu immer gleich sind.
In dieser frühen Phase geht es um eine Idee und wie man daraus
etwas Konkretes entstehen lassen kann. Das besondere und anspruchsvolle
an der „grünen Wiese“ ist, dass man nie wissen kann, ob der Boden
fruchtbar genug ist und ob man einen grünen Daumen mitbringt. Die
Voraussetzungen sind fast immer identisch: man hat immer zu wenig Geld,
zu wenig Mitstreiter*innen, zu wenig Kund*innen und zu wenig Zeit.
Probleme sind für Entrepreneure ja das „Spielfeld“ und an Problemen mangelt es uns nicht. Für mich sind Social Entrepreneure Pioniere für einen anderen, sehr fokussierten und lösungsorientierten Weg. Nur in der frühen Phase der Gründung gehen leider auch viele gute Ideen verloren. Oftmals fehlt das notwendige Wissen für eine Gründung bzw. es fehlt an einem kuratierten Prozess, um wichtige Kompetenzen zu entwickeln.
Das
wollte ich ändern. Seit etwa zwei Jahren arbeite ich an einem Konzept,
wie man Social Start-ups zu Impact Grown-ups begleiten kann, um die
Erfolgschancen der Gründer zu erhöhen. So entstand dann Ende 2018 die
„Impact Collective gGmbH“, die seit Januar 2019 von der KfW-Stiftung
gefördert wird. Wir verstehen uns als strategischer und operativer
Partner der Startups und arbeiten gemeinsam an den Herausforderungen -
zusammen mit einem breiten Netzwerk aus Unternehmer*innen und
Unternehmen. Der Name „Impact Collective“ ist Programm, weil wir
glauben, dass es eine gemeinsame Anstrengung braucht, um das Ökosystem
weiter zu professionalisieren und für ein Gründen attraktiver zu machen.
Gab es jemanden, der Dich dabei besonders inspiriert hat?
Inspiration finde ich in sehr vielen Menschen, ohne hier jemanden hervorzuheben. Sehr berührt bin ich durch Gründer*innen, die sowohl hartnäckig und diszipliniert als auch kreativ und unkonventionell ihren Weg gehen.
Die Startup-Phase ist alles andere als toll, auch wenn das in Medien oftmals als eine einzige Party dargestellt wird. Die Nächte der Gründer*innen sind oftmals schlaflos – jedoch nicht durch wilde Partys, sondern durch wilde Sorgen. Die Realität der Gründer*innen ist sehr oft durch Selbstzweifel, hoher Unsicherheit, Entbehrungen, finanziellen Sorgen und sehr wenig gesellschaftliche Anerkennung geprägt. Menschen, die das alles in Kauf nehmen, und trotzdem ein Social Business starten, inspirieren mich.
Hobby-gründen geht meistens schief. Erst aus den Säulen Wirkungsorientierung und wirtschaftliche Nachhaltigkeit entsteht ein Haus.
Auf der Website bezeichnet Ihr das Impact Collective als "Impact Accelerator Programm für gemeinnützige und gewinnorientierte Startups". Was sollten die Startups mitbringen?
Wir richten uns an Start-ups, die entweder gerade gegründet haben oder eine Gründung anstreben. Wichtig ist uns, dass die Idee bereits bei der Zielgruppe erfolgreich getestet wurde.
Zum anderen suchen wir verbindliche Gründer*innen. Darunter verstehen wir Menschen, die sich ernsthaft eine Existenz aufbauen wollen und hier auch über einen längeren Zeitraum am Ball bleiben.
Hobby-gründen geht meistens schief. Voraussetzung ist eine klare Wirkungsorientierung und eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Erst in der Kombination dieser beiden Säulen entsteht ein Haus.
Das ist deshalb so wichtig, weil die Start-up-Phase
wirklich nicht erstrebenswert ist, wenn man sich die Voraussetzungen
anschaut und welchen Preis man dafür als Gründer*in zahlt. Umso besser,
wenn man diese schnell hinter sich lässt und zu einer wirtschaftlich
tragfähigen Organisation werden kann.
Wie verläuft das Programm?
Wir helfen guten Projekten, sich zu einem Impact Grown-up zu
entwickeln. Dafür haben wir kein Standard-Programm, das dann alle
durchlaufen müssen, sondern unterstützen bedarfsorientiert. Wir holen
die Gründer*innen regelmäßig aus ihrem Hamsterrad, besprechen akute
Probleme und prüfen, ob die Roadmap konsequent verfolgt wird oder ob die
Ziele angepasst werden müssen.
Für bestimmte fachliche Fragen
stellen wir erfahrene Mentoren zur Seite. Wichtig ist, dass wir das
Matching zwischen den Teams und den Mentor*innen vornehmen. Zu oft
bekommen Startups Mentoren, die sich auf den Kontext des Teams nicht
einlassen können oder einfach keine Expertise mitbringen.
Indem wir die Teams über einen langen Zeitraum begleiten, helfen wir ihnen, Kompetenzen eigenverantwortlich zu entwickeln. Nur durch eigene Erfahrungen können Gründer*innen zu souveränen Unternehmerpersönlichkeiten werden.
Wir beobachten und hinterfragen dabei sehr genau, wie die Lösung bei den Nutzer*innen funktioniert. Ein großer Fallstrick in der Startup-Phase ist immer dann gelegt, wenn sich die Gründer*innen in eine Produktidee verlieben. Wir reden ja von Wirkung, das heißt die Produktidee ist immer nur Mittel zum Zweck. Wenn das Produkt seine gewünschte Wirkung nicht entfaltet, heißt es „kill your darlings“ – und zwar schnell und emotionslos. Eine fokussierte Produktentwicklung mit einer soliden Wirkungsevaluation ist genauso wichtig wie eine geschickte Kommunikations- und Stakeholder-Strategie. Hier gehen wir gemeinsam mit unseren Programm-Partner*innen zur Hand.
Bei aller Unterstützung bleibt
das Gründerteam immer in ihrer Eigenverantwortung. Das heißt die
Entscheidungen treffen sie alleine. Sie setzen sie auch um und
reflektieren ihren Fortschritt.
Erst wenn man das Problem wirklich durchdrungen hat, kann man mit Lösungsideen beginnen.
Du berätst andere schon lange bei ihren Gründungen. Nun bist Du selbst unter die Gründer gegangen. Welche waren Deine persönlichen Herausforderungen, die Du erlebt hast und wie bist Du bisher damit umgegangen?
Die emotionale Achterbahn hatte und habe ich natürlich auch. Es gab einige Herausforderungen zu bewältigen, insbesondere wie man ein gutes Konzept der Begleitung erarbeitet, starke Förder- und Programm-Partner überzeugt und wie man die eigene Organisation umsetzt. Ich bin allerdings bei allem sehr dankbar, wie viel Vertrauen, Zutrauen und spontane Unterstützung ich in der Konzeptions- und später auch in der Umsetzungsphase erfahren habe.
Ende letzten Jahres konnte ich einen ehemaligen Gründer eines Social Startups als Kollegen gewinnen, der neue Qualitäten und Denkweisen mitbrachte. Zusammen haben wir in recht kurzer Zeit und mit wirklich sehr bescheidenen Mitteln schon eine Menge vorbereitet und auf den Weg gebracht. Wir sind ja auch noch im Startup-Modus und unterliegen den gleichen Spielregeln wie unsere Teilnehmer*innen. So können wir auf Augenhöhe miteinander glaubwürdig umgehen.
Was war bislang Dein größter Lerneffekt?
Eine gute Vorbereitung ist oftmals schon 80 % des Erfolgs. Klar, ich bringe sicher viele berufliche Vorerfahrungen mit, die auch wirklich hilfreich waren. Allerdings hat mir sehr geholfen, nicht zu schnell mit einer Lösung um die Ecke zu kommen und die wichtigsten Lösungsbestandteile vorher gut erprobt zu haben.
Was auch geholfen hat und das gilt für alle ernsthaften Social Entrepreneure: die Story hinter der Gründung zieht immer Leute an. Wir haben gerade eine Zeit, in der viel über Sinn und Nachhaltigkeit gesprochen wird - einige reden ja auch von Enkeltauglichkeit. Viele Menschen suchen nach Orientierung in einer scheinbar unübersichtlichen und immer weniger greifbaren Welt. Da sind wir Social Entrepreneure eben wichtige Pioniere der Gesellschaft, denen gerne zugehört wird.
Unser Spielfeld ist die Nische und unsere Mittel sind der Kopf, eine begeisternde Vision und kreatives Geschick, mit wenig etwas Großes zu entwickeln.
Was sind die wichtigsten drei Tipps, die Du aus eigener Erfahrung, Menschen mit auf den Weg geben würdest, die ihr Projekt umsetzen möchten.
Als erstes ist es sehr wichtig, ein zu lösendes Problem zu durchdringen – nicht nur zu verstehen, das ist oft zu oberflächlich. Es gibt immer Gründe, warum ein Problem vorhanden ist und warum es noch nicht gelöst wurde. Erst wenn man das Problem wirklich durchdrungen hat, kann man mit Lösungsideen beginnen.
Zum zweiten ist man mit einer einfachen und sehr fokussierten Idee oftmals besser beraten, als ein System komplett aus den Angeln heben zu wollen. Schnell und einfach umsetzen, schauen was passiert und bei Bedarf von vorne anfangen.
Meine letzte Anregung, die allerdings fast schon überlebenswichtig ist: das Spielfeld von Startups ist nicht das Spielfeld der großen Organisationen und Unternehmen mit den großen Budgets, vielen Menschen und Ressourcen. Für uns gilt das alte Sponti-Motto: „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.“ Wer meint, dass er für seine Idee x-tausende Euro braucht, nur um anzufangen, verrennt sich schnell. Für die wenigsten Gründungen sind große Anfangsbudgets erforderlich. Im Gegenteil – mit einem kleinen Budget entfaltet sich oft aus der Not heraus eine neue Kreativität. Unser Spielfeld ist die Nische und unsere Mittel sind der Kopf, eine begeisternde Vision und kreatives Geschick, mit wenig etwas Großes zu entwickeln. Je besser die Idee nachweisbar funktioniert, desto eher wird man dann auch Kapital bzw. Förderungen finden. Das braucht allerdings Zeit, Geduld und Anstrengung. Wer diese Qualitäten mitbringt, findet auch die Mittel auf dem Weg.
Wie siehst Du die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft? Was gibt Dir Hoffnung, was bereitet Dir Sorgen?
Noch nie in der Geschichte der Menschheit war Bildung, Gesundheit und Entwicklung so einfach zugänglich wie heute. Leider sieht sich eine nicht genauer definierbare Masse nicht als Teil dieser Entwicklung. Viele fühlen sich abgehängt. Was mir Sorgen macht ist, dass wir die Dialogfähigkeit in der Gesellschaft gefährden. Auch habe ich den Eindruck, dass an vielen Stellen leider noch zu viele Besitzstandswahrer am Drücker sind.
Zudem brauchen wir ein gründungsfreundlicheres Klima und eben auch eines, welches Social Entrepreneuren hilft. Die Lösungen für gesellschaftliche Probleme können nur aus der Gesellschaft kommen. Hier kann sich die Dynamik und Kraft entfalten, von der Joseph Beuys immer gesprochen hat.
Unsere Gründungszahlen sind katastrophal niedrig. Das liegt sicher auch an einem guten Arbeitsmarkt, allerdings ist unser Gründungsklima bei weitem nicht optimal. Wenn man bedenkt, dass die deutsche Wirtschaft vor allem von den „Hidden Champions“ lebt, also den mittelständischen Tüftlern und wertegetriebenen Familienunternehmen in den Regionen, haben wir mit den aktuell wenigen gründungswilligen Tüftlern eine große Herausforderung in der Zukunft vor uns.
Einerseits sind hier Politik und Verwaltung gefragt, die die Gründungsförderung an den entscheidenden Stellen eher behindern oder eben nicht ausreichend unterstützen. Andererseits ist die Selbständigkeit auch gesellschaftlich nicht angekommen. Wie oft muss man sich als Gründer*in anhören, dass „man was Sicheres machen soll“, „lass das doch, das bringt doch nichts“, „warum der Stress“, etc. Das beginnt zu Hause, geht in der Schule weiter und hört auch im Freundeskreis nicht auf. Wir brauchen mehr Ermutigung und Verständnis, dass man als verantwortungsvolle*r Unternehmer*in sehr viel Gutes bewirken kann.
Ich würde ein Klima zaubern, in dem mehr Menschen ermutigt werden, ihre Ideen eigenverantwortlich anzupacken.
Ein anderer Aspekt ist, dass wir in der Gesellschaft mehr Bewusstsein und Unterstützung für gemeinwohl-steigernde Unternehmen und Organisation benötigen. Wir müssen eine intensive Diskussion darüber führen, welche Wirtschaft unserer Umwelt und unserer Gesellschaft guttut. Die reine Gewinnmaximierung wird nicht zu einer enkeltauglichen Gesellschaft beitragen, sondern den Raubbau an der menschlichen Gesundheit, am Zusammenhalt und an der Natur fördern.
Wir haben als Menschen dieses Umfeld geschaffen und wir können es auch wieder ändern. Es gibt immer mehr Menschen, die daran arbeiten und sich einbringen. Wenn man die Verwaltung mal außer Acht lässt, war Gründen noch nie so einfach und mit der Technologie können viele Unterstützer*innen auch in der realen Welt erreicht werden.
Wenn Du ab morgen mit einem Zauberstab die Zukunft Deiner Region bestimmen könntest, was würdest Du sofort anpacken?
Ich würde ein Klima zaubern, in dem mehr Menschen ermutigt werden, ihre Ideen eigenverantwortlich anzupacken. In diesem Klima würden sie Probleme sauber durchdringen und Lösungen entwickeln, die weniger ihrem Ego schmeicheln, sondern eine positive Wirkung entfalten. Sie würden in der Politik und Gesellschaft die Unterstützung finden, die sie brauchen – durch weniger Bürokratie, leichteren Zugang zu Fördermitteln, weniger rechtlichen Beschränkungen und durch Institutionen, die ihren Weg begleiten.
Wer sind die Personen, Projekte, Organisationen oder Unternehmen, die Deiner Meinung nach die Gesellschaft nachhaltig verändern? Wen in Deiner Region sollte man nicht übersehen?
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ So sehe ich das auch. Jede*r, der oder die sich mit Ideen und Engagement einbringt, prägt die Gesellschaft nachhaltig.