Thomas Hahner über Genossenschaften und Co-Working
Unsere Genossenschaft und das Coworking soll ein Ort der gebündelten Fähigkeiten sein.
Thomas Hahner ist Gründer der synthro Genossenschaft und des Co-Working-Spaces M1 in Mainz. Er wurde 1972 in Mainz geboren, verbrachte einige Jahre in München und in den USA und lebt heute wieder in Mainz. Hahner ist ausgebildeter IT Techniker, Business Management Coach und Mediator. 1994 gründetet er die IT Firma drivve, die er heute noch in der Geschäftsleitung betreut und 2016 das Online-Tool für Wissensmanagement Matterial. Seine gesellschaftlichen Überzeugungen, der Kontakt zur Gemeinwohlökonomie und der Transition Town Bewegung brachten ihn dazu, die synthro Genossenschaft und das M1 zu gründen. Über die Hintergründe berichtet er im Interview.
Interview: Daniela Mahr, August 2020
Foto: Thomas Hahner
Wie kam es zu der Idee des M1?
Um 2011 hatte ich meine IT-Firma in den USA und bereits zwei Kinder. Ich war so viel am Pendeln, dass ich mich zurück nach Mainz sehnte. Ursprünglich komme ich aus Nieder-Olm und fühle mich hier in der Gegend zu Hause. Ich entwickelte das starke Bedürfnis, in meiner Heimat etwas zu bewirken. Zu dieser Zeit hatte ich in Mainz allerdings noch keinerlei Netzwerk. Das beschloss ich zu ändern, damit ich Dinge, die mir hier wichtig sind, leichter umsetzen kann.
Man muss es sich einfach vorstellen können.
Was gab den Anstoß, die Idee in die Tat umzusetzen?
Auf
der Suche nach Inspiration ging ich 2013 nach Berlin. Der Wunsch, einen
gesellschaftlichen Wandel mitzubewegen wurde immer größer und da wurde
mir schnell klar, dass das alleine mit Software, meinem eigentlichen
Arbeitsbereich, nicht funktionieren würde. In Berlin lernte ich dann die
Firma Upstream kennen – einen der ersten Coworking-Space-Anbieter.
Zurück in Mainz sah ich auf der Mombacher Straße zum ersten Mal die
Hallen, in denen sich heute das M1 befindet, mit dem Schild „zu
vermieten“. 2014 war auch schon der Mietvertrag unterschrieben.
Vor dem Mietvertrag gab es sicher einige Dinge zu klären, oder?
Ja, wir haben uns gefragt, was alles zu beachten ist und hatten erstmal keine Ahnung (lacht). Wir wussten, dass wir eine Mischung brauchten aus Büros, Veranstaltungen und einer Co-Working-Fläche, die uns die Miete einigermaßen vorfinanziert. Das Konstrukt haben wir durchgespielt und es hat funktioniert.
Dass wir als Geschäftsform die Genossenschaft wählten war der letzte Punkt, der den Kreis schloss. Den Namen synthro hatte ich schon lange im Kopf: Einen Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen treffen und miteinander verbinden – und entweder zusammen etwas ganz Neues gründen oder weiterhin Teil des Gefüges bleiben. Wir wollten ein Gefäß schaffen, das das schnelle Austesten von Prototypen ermöglicht.
Als wir uns zusammen zum
ersten Mal die Hallen ansahen war es ganz wichtig, dass wir eine Vision
entwickeln. Man muss es sich einfach vorstellen können. Sei es in Bezug
auf den eigenen Weg, die Räumlichkeiten oder die Organisationsstruktur.
Wir möchten gebündelte Fähigkeiten und das schnelle Austesten von Prototypen ermöglichen.
Wie kam es zu dem Konzept der synthro?
Mein damaliger Kollege zeigte mir ein Video: Zwei ineinander gesteckte Zylinder zwischen denen eine zähe Flüssigkeit wie Glycerin gefüllt ist. In der Flüssigkeit befinden sich zwei kleine Tintenkleckse. Fängt man nun an die Zylinder umeinander zu drehen, so bilden die Klekse Fäden und verwickelte Strukturen und es ist keine Ordnung mehr zu erkennen. Dreht man anschließend die beiden Zylinder in die andere Richtung, werden wieder zwei getrennte Tintenkleckse sichtbar. Das Experiment stammt von David Bohm. Er nennt es das Prinzip der verhüllten Ordnung. Diese Metapher hat mich sehr für die synthro inspiriert. Zwei oder mehrere Menschen sollen sich treffen und sich verbinden. Was eine Person nicht kann, das kann die andere. Ob das Gespräche mit Banken, Gestaltung oder ähnliches ist. Für zwei Einzelpersonen ist das ganz schwierig, für ein Team und die gebündelten Fähigkeiten jedoch nicht mehr.
Die
Tatsache, dass es eine Genossenschaft wurde, habe ich Felix Weth, dem
Gründer von fairmondo, ehemals fairnopoly, zu verdanken. In Berlin kam
ich mit dem Netzwerk der dortigen Genossenschaften in Kontakt und mir
wurde schnell klar, dass wir die synthro auch so aufbauen sollten. Nach
der beschlossenen Idee habe ich alle Menschen kontaktiert, von denen ich
dachte, dass sie dazu passen könnten. Im Oktober haben wir uns dann das
erste Mal getroffen und dann im Januar mit 19 Gründungsmitgliedern die synthro eG gegründet. Mittlerweile sind sind wir knapp 75 Genossenschaftsmitglieder.
Was ist die Motivation der Menschen, die in die Genossenschaft eintreten?
Das
sind ganz verschiedene Gründe. Nicht alle benutzen auch die
Räumlichkeiten. Wir hatten z.B. vor einer Weile einen Autarkie-Workshop
mit Wohnwagon aus Österreich. Zum Workshop kamen 20 Personen, einer von
ihnen war Zugführer bei Vlexx. Er wohnte gegenüber und war so
begeistert, dass er beigetreten ist. Andere zahlen ihre Beiträge damit
die Aktionen stattfinden können und sich die Struktur festigt.
Was ist das spannendste, das aus M1 und synthro entstanden ist?
Was aus dem M1 und der synthro entstanden ist, passt zu der Vision des Zylinders mit den Tintenklecksen.
Ein
schönes Beispiel für solch ein Format ist die „Lebenswerkstatt“. Zu den
drei bis vier Vorträgen am Wochenende kommen regelmäßig 50-60
Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich zu einem Thema austauschen. Der
große Erfolg der vielen Events hat uns darin bestärkt, in Kürze unseren
eigenen Eventraum direkt neben dem M1 anzumieten. Der kann dann von uns
genutzt oder auch extern gemietet werden.
Der Sternekoch Felix Blum
kam durch das Yogaangebot zu uns und hat hier seinen Ort gefunden, an
dem er sich entwickeln kann. Sein Projekt „Peacefood“ ist hier
entstanden.
Ein anderes, sehr schönes Projekt ist das „Glashaus“. Ann-Katrin Weber und Sebastian Hörz sind beide Ende 20 und kommen aus Wiesbaden. Sie beschäftigen sich mit dem Thema „vertikal farming“ und wollten eigentlich nur unsere Halle mieten, um dort Gemüse anzubauen. Wir waren sofort begeistert von der Idee und haben gefragt, ob wir ihnen dabei helfen können. Nach einem knappen Monat haben sie sich dann entschieden, ihre gesammelten Erfahrungen und ihre Bachelorarbeit in ein gemeinsames Projekt mit der synthro eG zu stecken.
Das „Glashaus“
ist wohl das beste Beispiel dafür, wofür der Ort geschaffen wurde.
Innerhalb von drei Monaten haben sie dafür gesorgt, dass wir in unserem
Keller eine „Vertikal Farm“ stehen haben. Heute züchten wir unsere
Keimlinge und beliefern bereits die Sternegastronomie in Mainz.
Was glaubst du, hat den Stein ins Rollen gebracht?
Möglich war der beschriebene Ablauf nur, weil verschiedene Faktoren zusammenkamen: Felix als Koch in der Sterneküche und offener Mensch war mit seinen Kontakten zur Stelle, das M1 hatte die Räumlichkeiten und die synthro eG hatte die finanziellen Möglichkeiten, um die beiden für drei Monate zu finanzieren.
Nun haben wir den Investitionsplan und sind aktiv auf der Suche nach einem Ort, der ein 350m² Glashaus beherbergen kann.
Das Projekt bewegt mich persönlich, da ich eng mit Permakultur verbunden bin und mit meiner Lebensgefährtin als Selbstversorger lebe. Micro greens aus dem Glashaus sind ja komplett ohne Erde gewachsen und trotzdem können wir sie essen. In dem ganzen Prozess kann man aber trotzdem überlegen, wie man die Umsetzung so natürlich wie möglich gestaltet – beispielsweise mit Komposttees statt regulärem Dünger.
Wir möchten offen sein für die verschiedensten Denkweisen und nicht in einer „Blase“ leben. Das ist auch das, was wir uns von dem neuen Eventspace erhoffen: Die Öffnung hin zur Kultur.
eventually everything is connected
An so einem Ort lernt man viel über gemeinsames Arbeiten und Strukturen…
Allerdings. Für mich war es immer eine wichtige Frage, wie Unternehmen hierarchiefrei gestaltet werden können. Es gibt nach Außen Strukturen wie Aufsichtsrat etc., die da sein müssen. Aber nach Innen bin ich einfach nicht der Meinung, dass ich bestimmen sollte, wer wieviel Geld oder einen Zuschuss bekommt. Da wünsche ich mir ganz viel Eigeninitiative und gemeinsame Entscheidungen.
Was hat dir bei der Umsetzung am meisten geholfen?
Das Vertrauen, dass Dinge sich anziehen, nach dem Motto „eventually everything is connected“.
Wir brauchen dringend das Bewusstsein, dass man in den gesellschaftlichen Wandel, der hier und da brodelt, ziemlich viel Zeit und Geld investieren muss, damit uns nicht alles um die Ohren fliegt.
Nach der Gründung haben wir beschlossen, unsere Möbel selbst zu bauen.
Wir achten von Anfang an auf unsere CO2-Bilanz und entscheiden uns für
Cradle to Cradle-Stühle, wenn wir neue kaufen. Das mag am Anfang teurer
sein aber nach ein paar Jahren spielt das keine Rolle mehr. Ich glaube
fest daran, dass der Geist, den Du in ein Projekt einbringst, sehr
wichtig ist. Genau das wird dann auch die richtigen Menschen anziehen.
Man muss authentisch sein und dann kommt alles zusammen, was
zusammenkommen muss.
Ich habe mich weiter mit der
Transitiontown-Bewegung und der Permakultur beschäftigt und mich darin
fortgebildet. Das hat mir bei der allgemeinen Entwicklung sehr geholfen.
Aber auch bei der Planung von Projekten ist es sehr wichtig zu wissen,
wo die eigenen Stärken und wo die Grenzen liegen. In Verwaltungsdingen
und Buchhaltung freue ich mich zum Beispiel immer sehr über die
Unterstützung (lacht). Dauerhaft würde es mich frustrieren, mich mit
Dingen zu beschäftigen, die meinen Antrieb und meine Vorstellungskraft
bremsen. Auch wenn man am Anfang glaubt, dass eine Verwaltungskraft vor
allem Geld kostet – sie erleichtert die Arbeit sehr und ermöglicht die
eigene Weiterentwicklung.
Bei so tollen Projekten ist es gar nicht unwichtig, über Geld zu reden. Oft wird erwartet, dass 'gute Dinge' unentgeldlich geschehen. Muss man nicht an die Strukturen gehen, wenn man wirklich etwas verändern will?
Du sprichst da etwas sehr Wichtiges an. Das Transitiontown-Netzwerk oder die Gemeinwohlökonomie haben versucht, sich zu professionalisieren und haben andere Unternehmen beraten. Immer wieder kamen wir an einen Punkt, an dem wir fragen mussten, warum sie für ihre Leistungen kein Geld nehmen. Dann kamen immer Aussagen wie: „Das machen wir erstmal so. Wir wollen die Idee voranbringen.“ Ich glaube das ist gut, das ist dann eine Investition. Aber letztlich muss es aus einer intrinsischen Motivation heraus passieren und dazu gehört auch, dass ich auf meine Bedürfnisse achte und bedenke, dass ich von etwas leben muss. Manchmal gerät das in Vergessenheit, weil sich die Menschen so viel Anerkennung und soziale Kontakte über ihr Engagement holen, dass sie sich selbst vergessen. Ich habe so viele Menschen gesehen, die unfassbar viele Stunden Engagement in Dinge steckten und dann plötzlich zusammenbrachen.
Es kann nur
schwer bemessen werden, welchen gesellschaftlichen Wert kulturelle oder
soziale Arbeit hat. Es gibt dort ja nicht wie in einem Unternehmen eine
Bilanz, die dir sagt, ob du am Ende mehr oder weniger Geld hast. Die
Bewertungsmaßstäbe sind da vollkommen falsch angesetzt. Wir brauchen
dringend das Bewusstsein, dass man in den gesellschaftlichen Wandel, der
hier und da brodelt, ziemlich viel Zeit und Geld investieren muss,
damit uns nicht alles um die Ohren fliegt.
Nicht umsonst gibt es
Pegida oder Montagsdemos. Menschen, die Angst haben vor fremden
Menschen. All das ist Teil davon, dass die Leute merken, dass ein Wandel
stattfindet und sie Angst vor dem haben, was auf sie zukommt.
Wie stehst du zum Ehrenamt?
Freiwilligenarbeit
sehe ich sehr kritisch. Es braucht hier viel mehr Unterstützung. Das
Grundeinkommen wäre eine Idee, das Ganze zu erleichtern. Aber dann würde
unsere Wirtschaft vermutlich vollkommen zusammenbrechen. Die
Schwierigkeit bei ehrenamtlicher Arbeit ist, dass sie indirekt ein
System unterstützt, das die Menschen eigentlich verändern möchten. Es
kommt auch sehr darauf an, was die Motivation dahinter ist. Es passiert
ja nie etwas ohne Gegenleistung. Ich habe sehr viel zum Thema
„Motivation und Bedürfnisse“ gelernt. Es gibt die intrinsische und die
extrinsische Motivation. Ein gutes Buch zu dem Thema heißt „Geben und
Nehmen“. Immer mehr Menschen und Organisationen erkennen aber, dass wir
das System nicht verändern können, wenn wir es indirekt selbst mit
unserer Arbeit bestärken.
Womit finanzierst du selbst heute dein Leben?
Ich
finanziere mein Leben mit der IT-Firma, die ich vor langer Zeit
gegründet habe. Ich habe mich vor ziemlich genau 20 Jahren mit einem
Freund selbstständig gemacht. Die Firma heißt drivve, hat 25 Mitarbeiter
und sitzt jetzt hier im M1. Ich zahle hier auch Miete wie alle anderen.
Mein Privileg ist, dass es irgendwann sehr gut lief, ich mich mit
meinem Partner einigte und nun die Hälfte meiner Zeit in die synthro
investieren kann. Geld ist für mich nicht wichtig. Man braucht es aber,
um Dinge umsetzen zu können. Zudem entwickeln wir mit Matterial, unserem Online-Tool für Wissensmanagement, gerade eine spezielle Edition für Genossenschaften. So schließt sich der Kreis.
Ich versuche viel aus den Strukturen der Permakultur abzuleiten
Das Funding-Modell der synthro ist auch sehr spannend…
Ja, das ist grundlegend. Wir haben einen Fair Funding Point-Topf angelegt, der besagt, dass die Zeit, die Personen hier unentgeltlich investieren, einen Wert haben. Nämlich 25 Euro die Stunde. Das heißt, dass man sich ab 20 Stunden einen Anteil der synthro eG kaufen kann. Der hat den Vorteil, dass er unverwässerbar ist. 200.000 Euro in Geld oder 8.000 Stunden Mitarbeit haben die Möglichkeit gleich mitzubestimmen.
Ein anderer Aspekt ist, dass es Geld braucht um Projekte umsetzen zu können. Letztes Jahr haben wir mit der synthro knapp 16.000 Euro Gewinn gemacht. In der Versammlung haben wir dann einstimmig beschlossen, dass wir das Geld reinvestieren und nicht ausschütten. Durch solche Entscheidungen war dann zum Beispiel die Finanzierung des Glashaus-Projektes möglich.
Ich versuche viel aus den Strukturen der Permakultur abzuleiten: Wie kann ich so viele Funktionen wie möglich aus den einzelnen Bereiche schöpfen? Permakultur mit dem klassischen Wirtschaftskreislauf zu verbinden ist sehr spannend. Bei den Unternehmen ist es wie bei unserem Ökosystem: Hier müssen auch erstmal einige Blüten da sein, damit am Ende die richtigen Äpfel zum Tragen kommen. Im Herbst fallen die Blätter auf den Boden und dann kann Neues wachsen.
Das
ist meine Metapher für die Synthro: Sie soll einen guten Humus
bereiten, um auch ganz kleine Pflanzen heranwachsen zu lassen.
Wenn du in Mainz das Sagen hättest, was würdest du direkt anpacken?
An Stelle eines Bürgermeisters würde ich ein Bürgerkomitee einsetzen. Entscheidungen soziokratisch und nach dem Konsensprinzip zu treffen, ist eine gute Sache. Mehr Bürgerentscheide, mehr Transparenz und Informationen. Und ich würde Arbeitsgruppen gründen, die ganz divers zusammengesetzt sind. Ganz unterschiedliche Leute, die aber Kompetenzen und Talente haben, die, wenn man sie richtig einsetzt, zu sehr vernünftigen Entscheidungen führen können.
Welche Projekte aus Mainz und Umgebung fallen dir noch ein, die man nicht übersehen sollte?
Außer den schon genannten, finde ich die Solawi Mainz oder auch Foodsharing sehr spannend.
Thomas Hahner auf reflecta.network
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